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Kopfnüsse

Der Amoklauf, die Medien und wieso 5 Minuten entscheidend sein können

Ein 21-jähriger ehemaliger Schüler erschoss im BORG Graz 10 Menschen. Ein paar Gedanken zur Berichterstattung, was die Medien (nicht) aus dem Terroranschlag in Wien 2020 gelernt haben und warum wir Tätern anders begegnen sollten.

They crawled out of the woodwork ...
They crawled out of the woodwork ...Picturedesk
Newsflix Kopfnüsse
Akt. 15.06.2025 13:01 Uhr

Wäre Smalltalk eine olympische Disziplin, würde ich es nicht bis in die nationale Vorausscheidung schaffen. Ich meide größere Menschen-Ansammlungen, soweit das möglich und geboten erscheint. Nicht, weil ich mich fürchte, sondern weil mir der Spaß keine Freude macht. Das ist jetzt keine besonders elaborierte wissenschaftliche Begründung, aber manchmal muss man sich mit dem begnügen, was da ist.

Für einen Unterhaltungs-Journalisten mag das eine seltsame Berufseinstellung sein, aber ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Wer weiß, ob ich nachher noch hineinpasse.

Mit KI-Stimme: Der Amoklauf und die Medien

Dieser Tage bekam ich per Post eine Art Ehrentafel. Sie ist etwa so groß wie ein Blatt Papier, elegant in Türkis und Silber gehalten und hat an der Hinterseite ein paar kleine Ausnehmungen. Man kann die Ehrentafel also buchstäblich an den Nagel hängen.

Der Zusendung ging ein kurzer Mailverkehr voran. Ich hatte eine Einladung erhalten, an der Ehrentafel-Feier teilzunehmen. Ich ging darauf nicht ein, der Veranstalter schrieb mich deshalb an und versuchte, mir das Ereignis schmackhaft zu machen.

... And they whispered into your brain ...
... And they whispered into your brain ...
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Es käme dabei zu menschlichen Begegnungen, die ansonsten immer weniger stattfänden, schrieb mir der Herausgeber. Ich kann das nicht bestätigen, es finden meiner Beobachtung nach noch sehr viele menschliche Begegnungen statt, nicht immer gestalten sie sich allerdings erquicklich. Aber sollte es einen diesbezüglichen Mangel geben, der mich betrifft, ist mir das ganz recht so.

"Außerdem sind viele aus den Bundesländern da", fügte er an. Dazu hatte ich keine Meinung. Vor allem, weil ich selbst "aus den Bundesländern" bin. Aus einem zumindest.

Ich antwortete also höflich und erklärte meine Gründe, mein Fremdeln mit Journalistenpreisen etwa. Ich legte auch offen, gar nicht gewusst zu haben, dass ich für eine Ehrentafel würdig befunden worden war. Ich bin nur sehr gelegentlicher Leser des Magazins, das die Ehrentafel vergibt, ich halte es mehr mit Egon Friedell: "Des bissl, was ich les, schreib i mir selber." Das läppert sich auch zusammen.

Der Herausgeber antwortete mir daraufhin ebenfalls höflich, zeigte Verständnis für meine Sichtweise, ohne sie zu teilen. Um meine Wissenslücke bezüglich der Ehrentafel zu füllen, legte er mir ein Abonnement seiner Zeitschrift für 92 Euro im Jahr ans Herz, allerdings schon inklusive Mehrwertsteuer. "Als Berufslektüre sogar steuerlich absetzbar", fügte er an.

Das erscheint mir nicht teuer. Aber 92 Euro zu investieren, um zu erfahren, dass ich in der Jahreswertung der "Österreichischen Journalist:in" in der Kategorie "Unterhaltung" auf Platz 3 gelandet bin, kommt mir in meinem Fall doch etwas übertrieben vor. Selbst wenn eine steuerliche Absetzbarkeit gegeben ist.

Also kam mein dritter Platz per Post. Ich hätte mich selbst nicht dem Genre "Unterhaltung" zugeordnet, da sehe ich eher Menschen mit Ambitionen auf den Titel "Dancing Star". Aber ich nahm die Auszeichnung natürlich mit großer Dankbarkeit in Empfang.

... They set you on the treadmill ...
... They set you on the treadmill ...
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Leider lässt sich die Vorgabe, etwas zur Unterhaltung des Landes beizutragen, nicht immer erfüllen. Vor allem, wenn die Zeiten sind, wie sie sind. In der vergangenen Woche wurde der Unterhaltung der Unterhalt gestrichen.

Am Dienstag kam es in Graz zu einem Amoklauf in einer Schule. Das Ereignis entsetzte das Land und versetzte es in Wut gleichermaßen. Es gab viel Kritik an den Medien, der Art der Berichterstattung, der Bebilderung, der Einbettung von Videos, der Arbeitsweise vor Ort. Ich kann das nachvollziehen, mir ging es ähnlich.

Ich will mich hier nicht als Richter aufspielen. Ich habe selbst im Beruf ausreichend genug Fehler gemacht, wenn auch wenige zweimal. Aber das Alter bringt es mit sich, dass ich mehrere Blickwinkel auf Extremereignisse habe.

Beim Terroranschlag am Flughafen Schwechat 1985 war ich als Reporter zugange. Beim Terrorschlag in der Wiener Innenstadt 35 Jahre später war ich für die Zeitungs-Berichterstattung verantwortlich und es passierte auch einiges in den Jahren dazwischen.

Nunmehr erlebe ich Geschehnisse nicht mehr aus der Perspektive von Breaking News, sondern nehme sie eher wie unter Zeitlupe wahr. Die neue Langsamkeit führt zu einem anderen Bild, es ist jenem der Leserschaft vermutlich recht ähnlich.

... And they made you change your name ...
... And they made you change your name ...
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Beim Presserat sind mit Stand Freitag über 100 Beschwerden eingelangt und es kommen laufend weitere hinzu. Videos, das Bild des mutmaßlichen Täters und das Herzeigen des Hauses, in dem der Schütze gewohnt haben soll, erregen am meisten.

Nach dem Terroranschlag in Wien 2020 kamen am Ende 1.500 Beschwerden zusammen. Allein die Sichtung nahm sieben Stunden in Anspruch. Beim Presserat wird sich diesmal der Senat 2 mit der Aufarbeitung beschäftigen, vor Herbst ist nicht mit einer Beurteilung zu rechnen.

Im Leben abseits davon ist das Urteil längst gesprochen. Es wird darin eine scharfe Grenze gezogen, auf der einen Seite der zügellose Boulevard, auf der anderen Seite die seriösen Medien voller hehrer Ziele, enthaltsam, was das Interesse an Auflage oder Klickzahlen betrifft, den Rucksack vollgepackt mit ethischen Kompassen.

Wer sich dem Fall so nähert, kann es gleich bleiben lassen. Man lügt sich in den Sack. Natürlich gab es gravierende Unterschiede in der Berichterstattung, aber die Übergriffe blieben beileibe nicht auf den Boulevard beschränkt. Das Gewerbe wird nicht umhinkönnen, eine mediale Gesamtverantwortung wahrzunehmen. Nach Corona hat das nicht gut geklappt, es bietet sich nun eine zweite Chance.

... And it seems to me you lived your life ...
... And it seems to me you lived your life ...
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Natürlich kann man den Kopf auch in den Sand stecken. Aber klassische Medien werden im Verteilungskampf gute Argumente für ihre Daseinsberechtigung brauchen. Die Unterscheidbarkeit von Social Media könnte eines der Kriterien sein.

Es geht dabei nicht um ethische Regentänze, nicht um Zensur, um Herrschaftswissen, das der Bevölkerung vorenthalten werden soll. Es dreht sich darum, welches Publikum man haben will und wie man ihm gegenübertritt. In der Schrankenlosigkeit werden klassische Medien gegen Social Media keine Chance haben, in der Beschränkung aber kann Feuer liegen.

Das alles muss dem Publikum erklärt werden. Warum tue ich etwas, und warum tue ich etwas nicht? Das fehlte diesmal weitgehend. Die Berichterstattung wurde der Leserschaft serviert wie ein Kantinenmenü, kommentarlos. Schmeck's!

Die Aufzählung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, aber in der Presse, die sich dem Qualitätssegment zurechnet, sah es so aus: Der Kurier zeigte den mutmaßlichen Täter in der Printausgabe unverpixelt. Die Kleine Zeitung schilderte detailliert, wie Kinder in den Klassenzimmern erschossen wurden.

Auf einigen TV-Sendern und Webseiten war auf Video zu sehen, wie Schülerinnen und Schüler in Panik aus der Schule liefen.

... Like a candle in the wind ...
... Like a candle in the wind ...
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In der Sendung "Fahndung Österreich" auf Servus TV wurde unkommentiert eine kurzes Handyvideo eingespielt, das während des Amoklaufes aufgenommen worden war. Zu sehen ist ein Klassenzimmer, im Hintergrund sind Salven von Schüssen zu hören.

Im ORF erzählte eine Schülerin, dass ihre Lehrerin erschossen worden war. Das Profil machte der breiten Öffentlichkeit den genauen Wohnort des mutmaßlichen Täters bekannt und bettete die Information in eine Schlüsselloch-Reportage ein. Über die Austria Presse konnten Fotos bezogen werden, die das Wohnhaus des mutmaßlichen Amokschützen zeigen, in dem immer noch seine Familie lebt.*

Es wurde zugegriffen, auch international. Der ORF zeigte den Wohnblock in einer Mittags-ZiB her, löschte den Beitrag später.

In allen möglichen Medien waren Schülerinnen, Schüler, Angehörige mit vollem Gesicht zu sehen. Sie trauerten, weinten, zitterten, oder waren vor laufenden Kameras und Fotoapparaten schlicht fassungslos. Der Standard nannte den Verdächtigen in einem Posting den "mutmaßlich größten Massenmörder der Zweiten Republik". Solche Wortlaute machen aus Menschen Personen der Zeitgeschichte.

Die Salzburger Nachrichten gruselten mit einem Bericht über ein Foto, das der mutmaßlichen Täter unmittelbar vor dem Amoklauf auf der Schultoilette aufgenommen haben soll. Es zeigt seine Schuhe, eine Nachäffung eines US-Schulamokläufers.

Es wurde und wird quer durch den Gemüsegarten spekuliert. Es gibt bis heute kein schlüssiges Tatmotiv, trotzdem wird seit Tagen darüber debattiert, was gegen Mobbing in der Schule unternommen werden muss. Obwohl unklar ist, ob Mobbing im gegenständlichen Fall überhaupt eine tragende Rolle gespielt hat.

Es wurden Jugendliche bedrängt, sich zu äußern, am Ende sahen sich sogar Schülervertreter dazu genötigt, öffentlich um Zurückhaltung und Respekt zu ersuchen.

... Never knowing who to cling to ...
... Never knowing who to cling to ...
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Natürlich, es taten nicht alle mit und es waren nicht alle gleich. Einige Medien zeigten den Tatverdächtigen nicht her oder verfremdeten sein Gesicht zumindest. Andere verzichteten komplett auf die Namensnennung. Es gab auch durchaus seriöse Hintergrund-Berichterstattung und es war vielerorts Bemühen feststellbar.

Aber der Journalismus des Landes vermittelte dem Publikum in seiner Gesamtheit trotzdem das Bild einer Jagdgesellschaft, die keine Rücksicht auf Einzelschicksale nehmen kann. Oder will.

Das passiert nicht aus bösem Willen, sondern weil das Regelwerk angestaubt ist. Es ist schon da, aber aus der Zeit gefallen. In den Phasen, in denen früher Zeit fürs Überlegen war, müssen heute TikTok-Videos produziert, Ticker bestückt oder Social Media-Posts verfasst werden. Die Medien befinden sich im Wettlauf mit sich selbst.

Es fehlen die 5 Minuten zum Nachdenken, die entscheidend sein können.

Und es fehlte noch etwas. Medien scheinen die Furcht vor Shitstorms verloren zu haben, sie wirkten diesmal wie eingepreist. Das mag daran liegen, dass X keine Relevanz mehr hat und Bluesky noch nicht relevant genug wurde, um überhaupt irrelevant werden zu können.

... When the rain set in ...
... When the rain set in ...
Heinz-Peter Bader / AP / picturedesk.com

Zu allen diesen Sündenfällen stieß die Erbsünde hinzu und die betraf die Berichterstattung über den Täter. Er war der Mittelpunkt dieser Ereignisse, weil er in den Mittelpunkt gestellt wurde. Die Medien haben diesbezüglich aus dem Terroranschlag von Wien wenig gelernt. Geschichte wiederholt sich, nicht immer kehrt sie als Farce zurück.

In solchen Momenten holt mein Kopf immer den 2. November 2020 aus dem Tiefenspeicher zurück. Am nächsten Tag sollte Österreich wieder einmal in den Lockdown gehen. Es war ein lauer Abend, viele Menschen nutzten die letzte Gelegenheit, um Party zu machen, ehe die Party zu Ende war.

Dann kam der Terror in die Wiener Innenstadt.

Die Wucht der Ereignisse traf meine Redaktion und mich an unterschiedlichen Orten. Es war die Zeit des Homeoffice. Wir vernetzten uns, tauschten Informationen aus. Die Ordner mit Bildern und Videos begannen sich zu füllen. Als Medium mit großer Reichweite wird man in solchen Situationen geflutet.

Bald gab es alles. Die Schüsse vor der Synagoge, den Attentäter, wie er mit der Waffe im Anschlag durch die Seitenstettengasse zieht, die Augenblicke, in denen ein Polizist am Schwedenplatz von einer Kugel getroffen wird.

Ich gebe zu, die Lage überforderte uns und ich zog die Notbremse. Fünf Minuten Auszeit. Jeder sollte für sich überlegen, welche Art und Form der Berichterstattung angemessen wäre. Fünf Minuten Zeit zum Nachdenken. Eine Kostbarkeit.

Danach fügte sich alles wie von selbst. Wir entschieden, auf Bilder des Täters, der Tat, auf die Nennung seines Namens zu verzichten. Ein Hinweis am Titelbild führte zu einer Erklärung im Innenteil, das dominierende Foto am Cover war eine Rose. Niemand stellte die Festlegung in Frage, es gab nicht einmal eine Debatte darüber. Jeder fand richtig wie es war.

Das erzählt sich leichten Herzens, aber einfach ist so eine Entscheidung nicht, vor allem nicht im Boulevard. Etwas nicht zu zeigen, kostet Leserschaft, Klicks, Reichweite, so weit sollte die Ehrlichkeit reichen. Die Karawane zieht weiter zum Vollversorger, der sich holt, was du liegen gelassen hast.

Zu ernten gibt es ein paar Schulterklopfer, was die Quoten betrifft ist man bestenfalls zweiter Sieger. Interviews mit Krisenhelfern, Opfervertretern, die Ausleuchtung von Hintergründen, das Anstoßen gesellschaftlicher und politischer Debatten über Sicherheit in Schulen und über Waffengesetze mögen Ruhm und Ehre bringen, aber das Publikum spechtelt lieber woanders hin.

Mit einer zurückhaltenden Berichterstattung gewinnst du keinen Blumentopf, mit dem Gegenteil möglicherweise einen Blumenstrauß. Spätestens dann, wenn die Monatszahlen kommen.

Reduktion, das sollte einem klar sein, betreibt man für sich selbst. Das macht man, weil man sich der Würde der Leserschaft und des Mediums, für das man arbeitet, verpflichtet fühlt. 5 Minuten nachdenken führen nicht automatisch zu 5 Minuten Ruhm.

... And I would've liked to known you ...
... And I would've liked to known you ...
ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Auch dem Täter nicht zu viel Raum zu geben, kostet Kraft und Überwindung. Er ist die falsche Schlange in diesem falschen Paradies, eine ständige Versuchung. Auch für die Polizei, auch sie ließ sich in der Kommunikation treiben. Sie sollte sich ebenfalls ihre fünf Minuten nehmen.

Natürlich besteht nach solchen Ereignisse Hunger und Durst nach Informationen. Aber nicht jeder Befriedigung muss nachgegeben werden. Andere Länder sind hier schon viel weiter, wir sollten aus den Ereignissen zumindest Lernerfolge erzielen.

Die Landespolizeidirektion Steiermark hielt am Donnerstag eine Pressekonferenz ab, um den Stand der Ermittlungen mitzuteilen. Man sah das als "erforderlich" an und es war sicher gut gemeint. Aber haarklein zu schildern, wie sich der mutmaßliche Schütze in der Toilette auf die Tat vorbereitet, den Patronengürtel umgeschnallt und das Headset aufgesetzt hat, macht aus einem Amokläufer keinen Amokläufer, sondern John Rambo.

Die Erzählung, der 21-Jährige habe die Tat "bis ins kleinste Detail geplant", einen "minutiösen Ablaufplan" erstellt, eine Rohrbombe hergestellt, Abschiedsbrief und Abschiedsvideo verfasst und mit "großer Leidenschaft" an "Ego-Shooting-Spielen" teilgenommen, um für den Tag X zu üben, zeichnet kein Bild eines Wirrkopfs und Sonderlings, sondern erschafft eine Figur wie John Wick.

Das ist riskant, denn vielleicht sitzt irgendwo daheim schon der nächste John und fühlt sich von solchen Schilderungen nicht abgestoßen, sondern denkt sich: "geil". Das ist die Gefahr, die im Nachgang von Terror und Amok lauert.

... But I was just a kid ...
... But I was just a kid ...
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Am 22. Juli 2011 steuerte Anders Breivik einen Lieferwagen in die Innenstadt von Oslo, parkte das Fahrzeug und jagte es in die Luft. Acht Menschen starben. Dann fuhr er nach Utøya, auf der Insel, 40 Kilometer von der norwegischen Hauptstadt entfernt, fand ein Sommerlager von Jugendlichen statt. Breivik verkleidete sich als Polizist und erschoss 69 Menschen.

Ich nenne seinen Namen, weil Täter und Taten Inhalt weltweiter Berichterstattung waren und der Terrorakt auch einen Wendepunkt markierte. Ehe er mit dem Anschlag begann, hatte Breivik an über 1.000 Empfänger ein 1.500 Seiten langes "Manifest" verschickt.

Der Prozess gegen den Attentäter war ein Ereignis, das um die Welt ging, und Breivik wusste das zu nutzen. Das Bild im Gerichtssaal mit der ausgestreckten Hand, die Finger zu Faust geballt, verbreitet über Webseiten, Zeitungen, Titelblätter, jagte Schauer über den Rücken.

Kein Unternehmen der Welt hätte sich eine solche Medienpräsenz leisten können. Terroristen und Amokläufer bekommen die Werbefläche gratis.

... Your candle burned out long before ...
... Your candle burned out long before ...
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Am 20. Juli 2012 waren Tom und Caren Teves in Hawaii auf Urlaub, als sie einen Anruf erhielten. Sie wurden darüber informiert, dass ihr Sohn Alex zu den Todesopfern des Amoklaufes im Kino von Aurora, Colorado, gehörte. Das Paar gründete danach die "No Notoriety Foundation". Ihr Ziel: "Don't give killers the fame they crave!" Gebt Mördern nicht den Ruhm, nach dem sie sich sehnen!

Aus der Bewegung ist inzwischen eine Strategie erwachsen, sie gelangt in vielen Ländern zur Anwendung, ganz oder in Teilen, vor allem in Skandinavien. Wer die Kommunikation bei Terroranschlägen etwa in Schweden in den vergangenen Jahren verfolgte, der konnte merken: hier ist nichts mehr, wie es war.

Auch als am 27. Mai ein Autofahrer bei der Meister-Parade des FC Liverpool in eine Menschenmenge fuhr, kommunizierte die britische Polizei nur sehr reduziert. Kein Name des mutmaßlichen Täters, kein Bild, keine Details zur Person, nur Alter, Herkunft (um keine Fake News entstehen zu lassen), eine ungefähre Wohngegend. Dabei blieb es für mehrere Tage.

Amokläufer begehen Taten häufig auch aus dem Wunsch heraus, berühmt zu werden. Je mehr Medien ihnen Bühne geben, desto wahrscheinlicher sind Nachahmungstaten. "Copycat-Effekt" wird das im Fachbegriff genannt.

... Your legend ever did
... Your legend ever did
PIXSELL / EXPA / picturedesk.com

"No Notoriety" empfiehlt, Täter nicht beim Namen zu nennen, keine Fotos von ihm zu zeigen. Den Fokus auf Opfer, Helfer, Lösungen zu richten, keine Manifeste zu publizieren, keine Motive zu nennen, Täterbiografien zu vermeiden.

Vom mutmaßlichen Täter in Graz blieb, dass er gemobbt wurde und seiner Mutter einen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Dazu ein Bild, das ihn beim Streicheln einer Katze zeigt. Keines seiner Opfer wurde so nett dargestellt.

Ich wünsche einen gedeihlichen Sonntag. Der Amoklauf von Graz wurde inzwischen abgelöst von den Ereignissen im Nahen Osten. Die eine Katastrophe geht, die andere kommt. Es ist ein Elend.

Bis in einer kleinen Weile. Jedenfalls länger als 5 Minuten.

* Korrigiert: Die APA hat die Fotos nicht selbst anfertigen lassen, sondern lediglich zur Verfügung gestellt.

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Akt. 15.06.2025 13:01 Uhr