Am 10. Juli geht der Nationalrat in die Sommerpause. Sie dauert 75 Tage. Vorab steht noch ein Beschluss in eigener Sache an. Die Parteien sprechen sich selbst von einem Parteispenden-Vergehen frei. Und das auf sehr österreichische Weise.
Am dramaturgisch aufwühlendsten fand ich zuletzt Johanna Mikl-Leitner. Mit den Förderungen für Hollywood-Produktionen hapert es in Österreich ja momentan, weil die Budget-Millionen dafür da sind, aber wiederum auch nicht. Deshalb wurden die Dreharbeiten für die Streaming-Serie The White Lotus in Wien abgesagt.
In diese Lücke wollte Mikl-Leitner offenbar stoßen. Der weiße Lotus kommt nun aus St. Pölten, Österreichs neuer Cinecittà.
Die Landeshauptfrau postete vor ein paar Tagen ein Video auf Instagram. Sie steht in einem bläulich gehalten Jumpsuit und einem weißen Blazer da und hält einen Dessertteller in der Hand. Auf diesem Teller befindet sich ein Muffin mit einer Kerze darauf. "80 Jahre Volkspartei Niederösterreich" sagt Mikl-Leitner mit Schmelz in der Stimme, "Einsatz mit Herz und Hausverstand und für die Menschen".
Es ist nicht ganz klar, an wen sich die Botschaft richtet, denn die Volkspartei Niederösterreich ist ja genau genommen Mikl-Leitner selbst, das sagen mir mein Herz und mein Hausverstand. Sie wurde schließlich 2017 zur Landesvorsitzenden gewählt.
"Alles Liebe und Gute zum Geburtstag, Happy Birthday", wünscht die Parteichefin der Parteichefin zum Abschluss unter Gitarrengeschnurre, dann bläst sie die Kerze aus. Vielleicht ist sie danach mit sich selbst einen heben gegangen. Man wird schließlich nicht jeden Tag 80.
An Johanna Mikl-Leitner sieht man, wie engmaschig das österreichische politische System ist. Durch den Abgang von Josef Pröll wurde sie 2011 Innenministerin, sechs Jahre später folgte sie in Niederösterreich Erwin Pröll als Landeshauptfrau. Wenn sie jetzt die Digitalisierung in – sagen wir einmal – Mistelbach vorantreiben will, dann ruft sie Alexander Pröll an, er ist Staatssekretär im Bundeskanzleramt.
Diese Engmaschigkeit hat aber auch so ihre Laufmaschen. Beim Video von Johanna Mikl-Leitner ist nämlich nicht ganz klar, in welcher Funktion sie zu uns spricht. Als Landeshauptfrau? Als Parteichefin? Als einfaches ÖVP-Mitglied? Als Bürgerin?
Und wer hat den Clip gefilmt, geschnitten, ins Netz gestellt? Ihr Pressteam, das sie in ihrer Funktion als Landeshauptfrau betreut und von der öffentlichen Hand gezahlt wird? Mitarbeiter der Partei? Mikl-Leitner selbst? Oder ist das nicht ohnehin schon seit Längerem alles ein und dasselbe? Und damit fangen die Probleme an.
Mikl-Leitner (19.000 Follower) ist nicht allein. So gut wie alle Politiker in diesem Land mischen ihre öffentliche Funktion, ihr Amt in der Partei und ihr Privatleben auf Social Media wild durcheinander. Das macht die Auftritte bunt und lebendig, aber es ist unredlich.
Vor allem ist den Steuerzahlern gegenüber schwer erklärbar, warum sie die Parteien, die ohnehin in Förderungen ertrinken, mit zusätzlichem Geld sponsern sollen. Laut Bericht des Rechnungshofes bekam die ÖVP Niederösterreich 2023 Förderungen von über 8,2 Millionen Euro, da sind die Vorfeld-Organisationen noch gar nicht mitgerechnet.
Kanzler Christian Stocker postet auf Instagram (14.800 Follower) Bilder seines Deutschland-Besuches, macht Reklame für die Volkspartei, wirbt für die ÖVP Wiener Neustadt ("Damit sich Menschen sicher fühlen"), bittet um Vorzugsstimmen und zeigt sich privat auf der Vespa. Am Kopf der Seite steht "Bundeskanzler der Republik Österreich" und "Bundesparteiobmann der Volkspartei". Alles eins.
Bei Vizekanzler Andreas Babler (41.000 Follower) ist das nicht anders: Offizielles, Wahlwerbung für die Wiener Sozialdemokraten, für sich, für die SPÖ vor der Nationalratswahl, dazwischen Privates. Alles eins.
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (54.500 Follower) zeigt sich auf Auslandsreisen, beim Joggen, auf NEOS-Parteiveranstaltungen. Alles eins.
Wenn ein neuer US-Präsident ins Amt kommt, werden seine bisherigen Social-Media-Aktivitäten "eingefroren". Was da ist, bleibt, nach dem Ausscheiden wird es ihm wieder überantwortet, aber dazwischen ist er Präsident allein, alle seine digitalen Auftritte sind Staatsangelegenheit. So gehört das gemacht.
Am 19. April 2024 kritisierte der Rechnungshof den Umgang der Politik mit Social Media. "Bei der Öffentlichkeitsarbeit sind Regierungsaktivitäten von parteipolitischen oder persönlichen Social-Media-Aktivitäten zu trennen. Das ist nicht immer der Fall", stellten die Prüfer nüchtern fest. Sie empfahlen "keine Ressourcen aus öffentlichen Mitteln für die Betreuung der Social-Media-Accounts von Regierungsmitgliedern einzusetzen".
Der Rechnungshof hatte eine Auswahl aus dem politischen Spektrum überprüft, den damaligen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ), sowie den Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS).
Bei Haimbuchner fanden sich keine Gründe zur Beanstandung, bei den anderen vier Geprüften sehr wohl. Hier waren politische Parteien Medieninhaber der Accounts oder die Betroffenen selbst. Die Inhalte wurden durch "Bedienstete öffentlich-rechtlicher Körperschaften" erstellt, die digitalen Auftritte von ihnen betreut oder mitbetreut. Alles eins.
Das rief den unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat (UPTS) auf den Plan, eine unabhängige Behörde, angesiedelt im Kanzleramt mit drei Mitgliedern, besetzt durch die Präsidenten der drei Höchstgerichte. Der UPTS kann nur im Nachgang des Rechnungshofes tätig werden und so geschah es auch diesmal.
Der Transparenz-Senat stellte das Verfahren gegen Hans Peter Doskozil ein, für drei Parteien aber setzte es am 6. Mai 2025 saftige Geldbußen. Die Grünen sollten 57.803 Euro zahlen, weil Werner Kogler Personal für Social Media mehrgleisig benutzt hatte, und 40.214,90 Euro, weil auch Alma Zadić diesbezüglich kreativ war. Gesamt also 98.017,90 Euro.
Für Zadić war das nicht allein wegen der Summe peinlich. Sie ist Juristin, war zu diesem Zeitpunkt Justizministerin, ließ ihre Social-Media-Accounts aber trotzdem vom Ministerinnenbüro mitbetreuen.
Werner Kogler wiederum betrieb als Vizekanzler drei Social-Media-Kanäle (Facebook, Instagram, Twitter), bei denen die Partei Medieninhaber war. Finanziert wurden sie aber zum Teil von der öffentlichen Hand. Für Mitarbeiter des Ministeriums fielen im ersten Halbjahr 2022 dafür immerhin 28.901,67 Euro Personalkosten an.
Den NEOS wurden sogar 70.956 Euro Bußgeld auferlegt. Als Wiener Vizebürgermeister hielt Christoph Wiederkehr fünf Social-Media-Accounts am Leben. Bei Instagram, LinkedIn, TikTok und X war er selbst Medieninhaber, bei Facebook seine Partei. An den Kosten dafür beteiligte sich aber auch die Stadt maßgeblich. Also der Steuerzahler. Im ersten Halbjahr 2022 mit soliden 34.610,07 Euro.
Auch der damalige Kanzler Karl Nehammer betrieb fünf Accounts, bis auf LinkedIn war bei allen die Partei Medieninhaber. Die öffentliche Hand steuerte laut Rechnungshof 25.318,35 Euro Personalkosten bei. Dafür gab es nun eine Geldbuße von 50.637 Euro. Theoretisch!
Die Parteien legten Widerspruch ein, aber ihnen dämmerte vor allem: da schlummert was Größeres. Was, wenn nicht nur fünf Politiker überprüft werden, sondern mehr? Viele? Alle? Und das nicht nur für ein halbes Jahr, sondern länger?
Das könnte dann richtig ins Geld gehen, vor allem ins Geld, das man nach den Wahlkämpfen gar nicht mehr hat. Ab diesem Zeitpunkt wurde es in Österreich sehr österreichisch.
Die politischen Parteien nahmen sich die Kritik zu Herzen. Das Herz fragte den Hausverstand nach einer Lösung. Und der Hausverstand hatte eine kluge Idee: wir machen das Illegale einfach legal und löschen die Vergangenheit aus. Sie ist nie passiert. Und wenn sie passiert ist, dann ist sie ab jetzt nicht mehr passiert.
Der Hausverstand spart ÖVP, NEOS und Grünen durch die Vergangenheits-Weglegung 219.610,90 Euro. Die Parteien werden die Bußzahlungen nie leisten müssen. Das Geld wird frei, um es in ein paar Coaching-Stunden zu investieren, oder um Visagisten im Gesicht nach dem Rechten sehen zu lassen.
Der 18. Juni stieß Türen auf, die wiederum andere Türen aufgehen ließen. Gesetzen wurde eine gewisse Flexibilität zugestanden. Sie sind da und gelten, aber eventuell auch nicht. Es geht ihnen wie dem Fördergeld für The White Lotus.
Das hat Fantasie. Wenn der nächste Lokalpolitiker alkoholisiert am Steuer erwischt wird, dann ist der Führerschein vielleicht nur virtuell weg. Eine rückwirkende Gesetzesänderung könnte das Betreiben eines Kraftfahrzeuges in eingespritztem Zustand im Nachhinein gestatten. Zumindest für einen einschlägigen Personenkreis.
An diesem 18. Juni brachten die Abgeordneten Andreas Ottenschläger (ÖVP), Klaus Seltenheim (SPÖ), Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) und Sigrid Maurer (Grüne) im Parlament einen Gesetzesvorschlag ein. Er zielte darauf ab, das Bundesgesetz über die Finanzierung politischer Parteien von 2012 zu ändern. Es sollte nicht zu ihrem Schaden sein.
Schon am 26. Juni befasste sich der Verfassungsausschuss mit dem Thema. Am Ende stimmten ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne für den Vorschlag, die FPÖ dagegen, obwohl sie nicht wirklich dagegen ist. Selbst der blaue Abgeordnete Michael Schilchegger nannte die Entscheidung des Transparenz-Senats "problematisch und praxisfremd". In Österreich hat so etwas noch nie gestört.
Es ist davon auszugehen, dass die Novelle noch vor dem Sommer beschlossen wird, wenn es um das eigene Geld geht, ist die Politik recht flott. Die neuen Bestimmungen sollen ab 1. Juli gelten, dann aber auch rückwirkend. Finanziell wird es für die Parteien ein Tag der Befreiung sein.
Nun ist alles erlaubt, was vorher verboten war. Es spielt keine Rolle mehr, ob der Account dem Bundeskanzler selbst, einer Ministerin, einer Partei, einer Landespartei oder einer Teilorganisation gehört.
Es spielt keine Rolle mehr, ob ein Social-Media-Beschäftigter in einem Kabinett oder einem Büro eines Regierungsmitgliedes oder eines Landesregierung-Mitglieds tätig ist. Oder in einem Parlamentsklub oder einem Landtagsklub. Oder überhaupt nur parlamentarischer Mitarbeiter ist.
Jeder darf alles. Inhalte von Regierungsarbeit posten, oder Parteiwerbung, das muss nur gekennzeichnet werden. Wie, ist nicht festgelegt. Die öffentliche Hand, der Steuerzahler also, stellt den Parteien unentgeltlich Personal für Propaganda zur Verfügung, das gilt nicht mehr als Parteispende. Diese Großzügigkeit wird uns sicher einmal gedankt werden.
In den Reihen der NEOS finden das nicht alle gut. Nikolaus Scherak, immerhin stellvertretender Klubobmann, ist gegen die neue Regelung. Er wurde zu den Verhandlungen nicht beigezogen, obwohl die Thematik zu seinem Aufgabengebiet gehört. Im Bauch der Partei beginnen sich die Ersten zu fragen, was nach vier Monaten Regierung eigentlich noch übrig ist von der pinken DNA.
Es werden noch interessante Tage im Parlament. Am 9. und 10. Juli finden im Nationalrat die letzten Plenarsitzungen vor der Sommerpause statt. Der 11. Juli dient als Reservetag, es ist nicht davon auszugehen, dass er zur Anwendung gelangt. Dann ist Schluss. 75 Tage lang. Der Nationalrat tritt erst wieder am 24. September zusammen.
Das ist keine Erfindung aus 2025, auch in den vergangenen Jahren war die Sommerpause so lang, "tagungsfrei" heißt das offiziell. Mich verwundern nur die Umstände. Wir werden jeden Tag mit Krisenmeldungen überschüttet. Wir sind wirtschaftlich Schlusslicht in Europa und es schaut nicht aus, als würde sich daran demnächst viel ändern.
Unsere Inflationsrate liegt deutlich über Europaschnitt, die Arbeitslosigkeit klettert in die Höhe, die Industrie hat weiche Knie. Dauernd ist von Reformen die Rede, die zügig angegangen werden müssten, im Sozialsystem, bei den Pensionen, bei der Bildung. Können wir uns fast 11 Wochen Pause unter diesen Umständen wirklich leisten?
Sollten wir uns 75 Tage Pause leisten? Müsste nicht die Regierung gerade in solchen Krisenzeiten den Eindruck vermitteln, sie würde pausenlos die Ärmel hochkrempeln?
Selbstredend kann es Sondersitzungen geben. Natürlich gibt es ein paar – wenn auch wenige – Ausschuss-Sitzungen. Selbstverständlich steht auch Nationalräten und Nationalrätinnen Urlaub zu. Das legt sogar Artikel 28 der Verfassung fest. "Der Bundespräsident beruft den Nationalrat in jedem Jahr zu einer ordentlichen Tagung ein, die nicht vor dem 15. September beginnen und nicht länger als bis zum 15. Juli des folgenden Jahres währen soll."
Aber das Gesamtbild ist trotzdem windschief: Wenn es um das eigene Gerschtl geht, dann ist flugs eine neue Regelung da. Wenn sich die Frage stellt, ob man die eigene Komfortzone angesichts der Umstände nicht verlassen sollte, herrscht Schweigen.
Das ist auch in einem Teilbereich des Bildungswesens so. Die FPÖ hatte im Verfassungsausschuss den Antrag gestellt, Schulwaagen von der Eichpflicht zu befreien. Das schulärztliche Personal könnte auch ohne Grammgenauigkeit feststellen, ob ein Kind Gesundheitsprobleme habe, so das Argument.
Zu einer Einigung kam es nicht. Es war nicht klärbar, welchem Ausschuss die Thematik zugewiesen werden sollte.
Ich wünsche einen erträglich heißen Sonntag. Bis in einer kleinen Weile. Wenn wir bis dahin nicht alle geschmolzen sind.