In der Urlaubssaison litt Österreich unter einer Hyper-Inflation an politischen Ideen. Ab jetzt geht es für die Regierung aber um alles oder nichts. Pensionen, Budget, Lebensmittel, Energie, Löhne: entweder die Koalition packt endlich an. Oder die Koffer.
Ich war auf Urlaub in Kärnten. Einen Tag zwar nur, aber für den groben Überblick reichte es. Die Dosis macht bekanntlich das Gift.
Ehe ich in Klagenfurt einen Tag Ferien machte, musste ich in Klosterneuburg noch einmal aufs Amt. Wer auch im Sommer unverdrossen die Kopfnüsse konsumiert hat, kennt meine Behörden-Wirrnisse ein wenig. Die Erlebnisse erinnern inzwischen entfernt an "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen". Die Hosenrolle übernahm im gegenständlichen Fall ein Meldezettel.
Der Meldezettel-Beamte vom Meldeamt hatte meiner Frau einen zweiten akademischen Grad angedichtet, das musste rückabgewickelt werden. Also landete ich zum dritten Mal in Folge im Klosterneuburger Rathaus. Wieder ohne Termin. Der Vorgang ist vom Nervenkitzel her mit einem Aufstieg auf einen Achttausender vergleichbar. Ohne Sauerstoffgerät, vielleicht bleibt einem deshalb jedes Mal der Atem weg.
Wir waren erneut nicht die Einzigen ohne Termin. Genau genommen kam jeder unangekündigt und das sorgte für Kalamitäten. Nach uns betrat ein junger Mann mit forschem Schritt das Rathaus, um einen Strafregister-Auszug zu erwirken. Ob er einen Termin habe, fragte ihn der Portier-Portier, der dem eigentlichen Portier die Arbeit abnimmt, die dieser gar nicht hat. "Nein", antwortete der junge Mann. "Ui" erwiderte der Portier-Portier mit sorgenvoller Miene, "das wird heute schwer".
Dann folgte ein buckliger alter Mann, auch er natürlich ohne Termin und der Portier-Portier kam an seine Grenzen. Schon zwei Kunden warteten nun. Er griff zum Hörer, um beim Meldeamt um eine erneute Ausnahmegenehmigung anzusuchen, blickte erst auf den buckligen alten Mann, dann auf uns, wieder auf den buckligen alten Mann und eröffnete das Telefonat mit dem Meldeamt mit den Worten: "Heute hamma an Stau".
Die gute Nachricht war, dass es sich nur um einen kleinen Stau handelte und er sich bald auflöste.
Ein paar Tage später fuhr ich nach Klagenfurt, auch schon egal. Ich hatte eine Kleinigkeit zu erledigen und nutzte den Rest der Zeit, um mich in meiner Heimat umzusehen. Nach fast zehn Jahren war ich das erste Mal wieder da. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, für beide Seiten.
Vielleicht wäre ich sogar die Nacht über geblieben, aber es war das Feiertags-Wochenende und halb Wien verbrachte es am Wörthersee. Das Beste aus beiden Welten kann auch abseits der Politik zur Arschbombe werden.
Von Velden bis Krumpendorf war allerorten der im Süden überaus beliebte Wiener Dialekt zu vernehmen. Die Entwicklungshelfer aus der Bundeshauptstadt zeigten den Kärntnern, wie man richtig Geld ausgibt, mit dem Auto protzt und mit Messer und Gabel isst. Ich bin sicher, die Dankbarkeit war groß.
Die Dankbarkeit reichte aber nicht aus, um mir Unterschlupf zu gewähren. Es gab an diesem Feiertag kein Zimmer für mich. Im Rest des Sommers hätte ich zu jedem Zeitpunkt in jedem Hotel in jeder Kategorie schlafen können. Nicht aber zu Mariä Himmelfahrt.
Das war auf vielen Hotel-Webseiten gar nicht ersichtlich, sie verfügen noch über keine elektronische Buchungsmöglichkeit. Aber man kann per Mail eine Anfrage stellen. Auch Fax geht. "Vom Hudeln werdn lei Kinder", heißt es in Kärnten und das nicht ohne Grund.
Dem Land stehen die Probleme im Tourismus bis zum Hals, aber niemand will es wahrhaben. Lei lossn! Vielleicht weil die Landschaft so schön ist, das lenkt ab. Wer aber durch die Hotelseiten surft und sich Zimmer, Ambiente, Angebot anschaut, fühlt sich wie auf einer Zeitreise. Die Siebzigerjahre lassen grüßen, das allerdings zu Gegenwartspreisen.
In der Hauptstadt ist das mit freiem Auge erkennbar, Klagenfurt macht einen deprimierenden Eindruck. In der Innenstadt stehen viele Geschäftsflächen leer, ganze Straßenzüge wirken recht heruntergekommen, die Fußgängerzone war an diesem Feiertag wie ausgestorben.
Ein paar Meter außerhalb vom Ring steht das Hallenbad, als Zeitgeist-Ruine mittlerweile regional fast bekannter als der Lindwurm. Klagenfurt, mit über 105.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt Österreichs, fehlt das Geld für Neubau oder zumindest Sanierung.
Viele Lokale hatten mitten in der Hochsaison Ruhetag, das Traditions-Gasthaus "Pumpe" gehörte dazu. Das Paar Frankfurter mit Gulaschsaft und Semmel kostet hier happige 8,70 Euro, stand am Feiertag aber ohnehin nicht zur Disposition. Vielleicht waren die Würstln in der Kirche.
Der Sandwirth, eine eher noblere Adresse, hatte gleichzeitig offen und zu. Das Restaurant bietet laut Aushang "Snacks rund um die Uhr", aber die Uhr hat offenbar keine Zeiger. Die "Gebackenen Hendlspitzen" betrifft das ohnehin nicht, denn es gibt sie laut Karte nur bis 14 Uhr, warum auch immer. Lifestyle-Teilzeit? Bei den Hendln sollte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer einmal genauer hinschauen, da hocken die wirklichen Arbeitsverweigerer.
Zu Mariä Himmelfahrt waren die "Gebackenen Hendlspitzen" den gesamten Tag im Zeitausgleich, also nicht da. Der "Mittagstisch" hat überhaupt den kompletten Sommer über Sommerpause. Am Wochenende und an Feiertagen macht die Küche bereits um 11 Uhr am Vormittag dicht, wie mir der Kellner sagte. Er verwies mich auf den Landhaushof, "das einzige Restaurant, das heute offen hat".
Der Gastgarten in Landhaushof (Kalbs-Wienerschnitzel für 28,90 Euro) war tatsächlich gut gefüllt, der dortige Kellner bot mir einen Platz in den Innenräumen an. Ob es da nicht sehr heiß sei, fragte ich ihn. "Dos miassens schon sölba feststölln", gab er mir als Antwort. Ich nahm lieber den Bus Richtung Wörthersee.
Das war eine gute Entscheidung. Im Klagenfurter Strandbad, Nebenwohnsitz meiner Jugend, befanden sich an diesem Tag an die 10.000 Menschen, die Liegewiesen, die Stege waren knallvoll. Trotzdem herrschte eine friedliche und fröhliche Stimmung. Es war, als hätte mir meine Heimatstadt die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Ich schlug nachdenklich ein.
Vor ein paar Monaten saß ich mit ein paar anderen Journalisten bei einem Abendessen, der Manager eines großen Unternehmens hatte dazu eingeladen. Als der Aufbruch nahte, fragte er unvermittelt in die Runde: "Und, wird die Regierung jetzt die großen Reformen schaffen?" Stille breitete sich aus und in diese Stille hinein sagte ich ziemlich nassforsch und laut: "Nein".
Das sorgte in der Deutlichkeit für Erstaunen. Die neue Regierung war erst ein paar Wochen im Amt und ihr zukünftiges Wirken mit allerlei hohen Erwartungen aufgeladen. "Bei allen großen Reformvorhaben gibt es unter den drei Koalitionspartnern immer mindestens eine Partei, die blockiert", versuchte ich zu erklären. Aus ideologischen oder taktischen Gründen, um Parteigänger nicht vor den Kopf zu stoßen, vor allem aber nicht die eigenen Funktionäre. Ich sehe das auch heute noch so. Erfahrungssache.
Die letzte große Pensionsreform fand in Österreich vor rund 20 Jahren statt, sie war richtig und gleichzeitig eine Frechheit. Nicht mehr die besten Verdienstjahre zählten ab da für die Berechnung des Ruhegenusses, sondern das gesamte Arbeitsleben wurde herangezogen. Viele Baby-Boomer, die jetzt in Pension gehen, spüren das hautnah. Ihre monatliche Rente fällt oft um Hunderte Euro geringer aus. Das macht wütend.
Es hätte nicht sein müssen, denn die damalige Regierung Schüssel setzte darauf, die Privatvorsorge attraktiv zu machen. Wer eine Zusatzpension abschloss, bekam staatliche Förderung und konnte Gelder von der Steuer absetzen.
Aber nicht lange. Schritt für Schritt wurden alle Vorteile in den darauffolgenden Jahren einkassiert, oft kurioserweise, um Steuerreformen finanzieren zu können. Am Ende waren die Vorsorge-Produkte so unattraktiv, dass sie sogar die Versicherungen aus dem Programm nahmen.
In vielen Ländern Europas, von Dänemark bis zur Schweiz, stehen Pensionsmodelle heute auf mehreren Säulen, einer staatlichen Grundrente, dazu kommen Firmenpensionen und private Vorsorge. Die Grundlagen dafür wurden vor Jahrzehnten geschaffen.
Österreich ist ein Monolith, hier dominiert die staatlich finanzierte Pension, die immer mehr Geld kostet, weil es immer mehr ältere Menschen gibt. Eine Reform, die diesen Namen verdient, ist nicht in Sicht. Weite Teile der aktuellen SPÖ stehen dem Aktienmarkt, den Kuponschneidern, sagen wir es einmal wohlwollend, skeptisch gegenüber. Reform? Rien ne va plus!
In weiten Kreisen wird der Regierung trotzdem nach wie vor viel Wohlwollen entgegengebracht. Weil sie die FPÖ von der Macht ferngehalten hat, nicht öffentlich streitet, ein Budget geschafft hat, Mindestanforderungen eigentlich. Gleichwohl war sie bisher vorrangig auf Nebenschauplätzen aktiv. Das wird sich mit Herbstbeginn ändern. Jetzt geht es ans Eingemachte und die Zutaten haben es in sich.
Am Samstag setzte die Ratingagentur Moody's den wirtschaftlichen Ausblick für Österreich von "stabil" auf "negativ". Dem Staat drohen höhere Zinszahlungen. Ein Aufschwung ist nicht in Sicht. Statt zu wachsen, schrumpfte auch die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,3 Prozent, Österreich hängt am Nachbarn wie an einer Nabelschnur.
Kommt in Österreich nun also so oder so ein neues Sparpaket? Die Stimmen mehren sich, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um das Budgetdefizit unter Kontrolle zu bringen. Es sei "außer Plan", behauptet das wirtschaftsliberale Institut Agenda Austria.
Ein kraftvolles Dementi ist nicht zu vernehmen. "Wir sind nicht weit vom Kurs ab", sagt ÖVP-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl. SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer zeigt sich "zuversichtlich", dass die Sanierung gelingen werde. Im ORF-Sommergespräch schloss NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger neue Maßnahmen allerdings nicht aus. Sie verwies auf die Regierungsklausur.
Tatsächlich setzen sich ÖVP, SPÖ und NEOS am 2. und 3. September im Kanzleramt zusammen und es liegt viel am Tisch. Als zweite Regierung in Folge hat sie eine Inflation verschlafen. Zu Jahresbeginn wurde von einer kurzen Delle bei der Teuerung ausgegangen, jetzt ist von einer Besserung erst im nächsten Jahr die Rede und die Vorschläge fürs Gegensteuern wirken fast panisch.
Die ÖVP, die ursprünglich dagegen war, kann sich plötzlich eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel vorstellen. Die SPÖ will jetzt nichts mehr davon wissen. Im Wahlkampf wollte Andreas Babler noch "das Leben wieder leistbarer machen" und forderte die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Das würde sie "sofort um 10 Prozent billiger machen". Nun hält der die Maßnahme für nicht mehr finanzierbar.
Was kommt nun? Kassiert die Regierung die paktierte Erhöhung der Beamtengehälter ein? Kann die Beamten-Partei ÖVP einen solchen Dammbruch stemmen? Werden die Pensionen unter dem Inflations-Niveau erhöht und die Pensionisten-Parteien ÖVP und SPÖ spielen Harakiri? Oder werden nur höhere Pensionen betroffen sein, also vorrangig viele Altpolitiker?
Wird es Lohnabschlüsse unter der Inflationsgrenze geben und macht die SPÖ da mit? Kann es sich Andreas Babler politisch leisten, weiter auf die Forderung nach Erbschafts- und Vermögenssteuer zu verzichten? Kann er die Teuerung bei den Lebensmitteln einfach so durchrauschen lassen? Zur Teilnahme an einem weiteren "Bla-Bla-Gipfel" über die Preise sei er jedenfalls nicht mehr bereit, sagte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian der Kleinen Zeitung.
Der Hut brennt. Meine Vermutung: es wird eher wieder zum Feuerlöscher gegriffen. Es bricht keine Zeit der großen Reformen an, obwohl uns der Bedarf von überall her im Land anlacht. Nicht nur in Klosterneuburg oder Klagenfurt. Reform-Stillstand, das ist in Österreich längst eine Mobilitätsform.
In diese Gemengelage hinein starteten die Sommergespräche im ORF, nach Leonore Gewessler und Beate Meinl-Reisinger folgt am Montag Andreas Babler. Was bisher in Erinnerung blieb? Interviewer Klaus Webhofer, der seinen Job angenehm unaufgeregt wahrnimmt, trug bei der Premiere eine moderne Version eines Mao-Anzugs mit großen Brusttaschen.
Bei Gewessler waren zwei Ringe an seiner rechten Hand zu sehen und das recht oft. Im Farbfernsehen hatte man den Eindruck, die neue Grünen-Chefin würde sich mehr mit Webhofers Händen als mit ihm selbst unterhalten. Bei Meinl-Reisinger wechselte er einen Ring auf den linken Mittelfinger. Vielleicht ein Aberglaube.
Einmal fiel ein Apfel vom Baum, einmal nicht.
In den Sommer(Nach)gesprächen auf ORF III sitzen die Teilnehmer nun nicht mehr in einem Halbkreis, sondern in einer Art U-Form. Wie früher in den alten Straßenbahn-Garnituren. Ich weiß nicht warum.
Ich wünsche einen wunderbaren Sommerausklang. Ich hoffe, ich habe hier niemanden beleidigt oder vor den Kopf gestoßen, jedenfalls nicht über das vertretbare Maß hinaus. Satire kann neuerdings in Österreich Gerichtsverfahren nach sich ziehen und eine Stange Geld kosten. Wenn das so weitergeht, habe ich schneller einen Termin für einen Haftantritt als am Meldeamt Klosterneuburg.
Bis in einer kleinen Weile, diesmal aber wirklich. Zur Not mit Fußfessel.