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Waffen-Psychologe

"Ein Gewehr bekommt hierzulande nahezu jeder ganz locker"

Der Psychologe Andreas Krafack entscheidet seit Jahrzehnten, wer eine Waffe besitzen darf. Warum er unser Waffenrecht verschärfen würde, worauf er bei seinen Klienten besonders schaut und weshalb der Amokläufer von Graz nie eine Waffe hätte bekommen dürfen.

Kommt nach dem Amoklauf von Graz mit insgesamt 11 Toten eine Verschärfung des heimischen Waffenrechts? Für den Psychologen Andreas Krafack wäre es hoch an der Zeit
Kommt nach dem Amoklauf von Graz mit insgesamt 11 Toten eine Verschärfung des heimischen Waffenrechts? Für den Psychologen Andreas Krafack wäre es hoch an der ZeitPicturedesk, privat
Martin Kubesch
Akt. 13.06.2025 12:23 Uhr

Behördlich hatte alles seine Ordnung. Jene Waffen, mit denen der mutmaßliche Amokläufer von Graz am 10. Juni zuerst zehn Menschen tötete und elf weitere zum Teil schwer verletzte, ehe er sich selbst erschoss*, waren vollkommen rechtmäßig in seinem Besitz.

Das gab die Polizei am Donnerstag nach der Tragödie bei einer Pressekonferenz bekannt. Der 21-Jährige hatte demnach zunächst Anfang April bei einem Waffenhändler in Graz vollkommen legal eine Schrotflinte erstanden.

Nachdem er Mitte Mai schließlich seine beantragte Waffenbesitzkarte erhielt, kaufte er einige Wochen später damit noch eine Faustfeuerwaffe, eine Pistole Typ 19 der österreichischen Marke Glock, diesmal bei einem anderen Waffenhändler. Mit diesen beiden Waffen gab der junge Mann insgesamt 40 Schüsse auf seine ehemaligen Mitschüler und Lehrer ab.

Toten-Gedenken nach dem Amoklauf von Graz am 10. Juni
Toten-Gedenken nach dem Amoklauf von Graz am 10. Juni
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Österreich, Land der Waffen-Freaks

Eine Waffe zu besitzen, ist in Österreich seit jeher eine Art Fetisch, vor allem in wertkonservativen Kreisen. Äußert man Interesse daran, sich selbst eine Waffe zuzulegen, so erntet man tendenziell eher Verständnis als Befremden. Das zeigen auch die aktuellsten Zahlen.

So viele Waffen sind in Österreich im Umlauf

  • Laut Innenministerium gab es Anfang Juni 374.141 registrierte Schusswaffenbesitzer in Österreich. Das sind um 120.000 Personen mehr als noch vor zehn Jahren.
  • Die meisten Schusswaffenbesitzer gibt es in Niederösterreich (97.500), gefolgt von Oberösterreich (65.900) und der Steiermark (61.400).
  • Diese knapp 375.000 registrierten Waffenbesitzer verfügen über ein gemeinsames Arsenal von insgesamt 1,5 Millionen Schusswaffen.
  • Die überwiegende Mehrheit davon, mehr als 833.000 Waffen, fallen unter die Kategorie C – damit werden sogenannte Langwaffen, also zumeist Büchsen und Flinten für die Jagd oder für Schützen- und Traditionsvereine, bezeichnet. Ihr Erwerb ist grundsätzlich für jeden Österreicher ab 18 Jahren möglich, es braucht dafür auch keinerlei amtliche Bewilligung. Die Waffe muss nur im Zentralen Waffenregister eingetragen sein.
  • Weitere 542.000 Schusswaffen gehören zur Kategorie B, damit sind Kurzwaffen, also Revolver und Pistolen, sowie halbautomatische Waffen gemeint. Um so eine Waffe zu besitzen, muss man über 21 Jahre alt sein. Und zudem eine Waffenbesitzkarte (berechtigt nur dazu, so eine Waffe zu besitzen) oder einen Waffenpass (berechtigt auch, solch eine Waffe zu führen, also bei sich zu tragen) haben.
Tiroler Schützen feuern eine Ehrensalve ab: Insgesamt mehr als 833.000 Büchsen und Flinten sind in Österreich offiziell registriert, ihr Besitz ist nur an wenige Auflagen gebunden
Tiroler Schützen feuern eine Ehrensalve ab: Insgesamt mehr als 833.000 Büchsen und Flinten sind in Österreich offiziell registriert, ihr Besitz ist nur an wenige Auflagen gebunden
EXPA / APA / picturedesk.com

So kommt man legal zu einer Waffe

Der legale Weg zum Waffenbesitz ist in Österreich nicht wahnsinnig steinig. Wer sich mit einer Langwaffe zufrieden gibt, kann ab 18 Jahren nahezu alles kaufen, was sein Herz begehrt, in Ausnahmefällen dürfen bereits 16-Jährige eine Flinte mit ins Korn nehmen.

Wer lieber eine Kurzwaffe sein Eigen nennt – weil er Mitglied in einem Sportschützenverein ist oder mit einer Glock im Kleiderschrank einfach besser schläft –, muss zwar bis 21 warten, sonst sind die Hürden, die der Gesetzgeber aufgestellt hat, aber alles andere als unüberwindlich. Es braucht nur eine von der zuständigen Behörde (meist Bezirkshauptmannschaft oder Magistrat) ausgestellte Waffenbesitzkarte, um bis zu 2 Kurzwaffen besitzen zu dürfen.

Das benötigt man in Österreich für eine Waffenbesitzkarte

  • Ein Mindestalter von 21 Jahren
  • Staatsbürgerschaft eines EWR-Staates
  • Ein Leumundszeugnis
  • Einen guten Grund, weshalb man eine Waffe besitzen möchte (eben z.B., weil man Sportschütze ist)
  • Einen Nachweis, dass man mit einer Waffe sicher umgehen kann (der sogenannte "Waffenführerschein")
  • Und ein Gutachten, in dem einen ein Psychologe bestätigt, dass man die geistige Reife für eine Schusswaffe besitzt (braucht man allerdings nicht, wenn man einen Jagdschein hat)
Der Waffenpass berechtigt dazu, eine Waffe, egal ob lang oder kurz, mit sich zu führen. Die Waffenbesitzkarte berechtigt nur zum Besitz einer Schusswaffe
Der Waffenpass berechtigt dazu, eine Waffe, egal ob lang oder kurz, mit sich zu führen. Die Waffenbesitzkarte berechtigt nur zum Besitz einer Schusswaffe
HARALD SCHNEIDER / APA / picturedesk.com

Kommt ein strengeres Waffengesetz?

Unter dem Eindruck des Amoklaufs von Graz, kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Tag nach dem Anschlag an, dass "das Waffengesetz geändert werde, wenn man zu dem Schluss komme, dass dies notwendig sei, um Österreich sicherer zu machen.

Die Regierungsparteien signalisierten tags darauf diesbezüglich zumindest Gesprächsbereitschaft, wollten sich aber nicht in die Karten schauen lassen, wohin die Reise gehen könnte. Zu unterschiedlich sind die diesbezüglichen Wünsche der jeweiligen Wähler-Klientel.

Erfahrene Österreicher wissen, dass das alles und nichts bedeuten kann. Von Totalreform bis totalem Stillstand.

Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) beim Gedenkgottesdienst in Graz: Eine Verschärfung des Waffenrechts ist nach den tragischen Ereignissen der letzten TAge zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen
Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) beim Gedenkgottesdienst in Graz: Eine Verschärfung des Waffenrechts ist nach den tragischen Ereignissen der letzten TAge zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Experte für "deutliche Verschärfung" des Waffenrechts

Einer der genau weiß, wem der Gesetzgeber da so mir nichts dir nichts Pistole und Gewehr in die Hand drückt, ist Andreas Krafack, 65. Der klinische Psychologe ist Gerichtssachverständiger, führt seit Jahrzehnten "Waffenrechtliche Verlässlichkeitsprüfungen" durch, wie die Psycho-Gutachten amtssprachlich heißen, und ist beim Berufsverband Österreichischer Psychologinnen Lehrgangsleiter für jene Sachverständigen, die Waffenrechtliche Verlässlichkeitsprüfungen anbieten.

Derzeit bieten etwa 230 Psychologinnen und Psychologen diesen Service an, von denen einige in Organisationen wie dem Kuratorium für Verkehrssicherheit, die meisten aber freiberuflich tätig sind.

Krafack bescheinigt Menschen seit Jahrzehnten, ob sie vom psychologischen Standpunkt her befähigt sind oder nicht, eine Waffe zu besitzen. Im Interview erklärt er, weshalb das Waffenrecht aus seiner Sicht eindeutig verschärft gehört, wie er und seine Kollegen bei den Verlässlichkeitsprüfungen die Spreu vom Weizen trennen und welche Folgen es mitunter haben kann, wenn man einem Möchtegern-Cowboy das Recht auf den eigenen Colt verwehrt.

Gut 230 Psychologinnen und Psychologen führen in Österreich als Sachverständige Waffenrechtliche Verlässlichkeitsprüfungen durch
Gut 230 Psychologinnen und Psychologen führen in Österreich als Sachverständige Waffenrechtliche Verlässlichkeitsprüfungen durch
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Psychologe Andreas Krafack über das österreichische Waffenrecht

Ganz grundsätzlich: Wie einfach kommt man in Österreich zu einer Waffe?
Zu einer Langwaffe kommt man sehr, sehr einfach, und zwar ohne vorhergehende psychologische Untersuchung der Verlässlichkeit. Während man sich für Faustfeuerwaffen, also Pistole und Revolver, zunächst einer psychologischen Begutachtung unterziehen muss, um die Verlässlichkeit festzustellen.

Wo kann man so eine Begutachtung vornehmen lassen?
Bei einem Psychologen, der ein abgeschlossenes akademisches Studium der Psychologie vorweisen kann und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung hat. Eine Liste aller Organisationen und freien Psychologen, die für diese Form der Begutachtung zugelassen sind, gibt es beim Innenministerium und bei allen Behörden, bei denen man eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenpass beantragen kann.

Wie läuft so eine psychologische Begutachtung ab?
Dabei findet zuerst ein Screening statt. Das ist eine allgemeine Untersuchung, die aus einer intensiven Exploration, einer ausführlichen Verhaltensbeobachtung und einigen Testverfahren besteht.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Exploration?
Damit ist eine ausführliche Befragung gemeint, bei der vor allem folgende Punkte im Fokus stehen: Aus welchem Grund möchte man eine Faustfeuerwaffe; wie ist es um die psychische Gesundheit und die Verlässlichkeit des Antragswerbers bestellt; gibt es bereits Erfahrungen mit Schusswaffen unter Anleitung; ob es das erste Mal ist, dass sich der Antragswerber solch einer Untersuchung unterzieht; ob eine psychiatrische Behandlung besteht oder Drogen bzw. Psychopharmaka eingenommen werden.

Befürwortet eine Verschärfung des Waffenrechts: Psychologe und Sachverständiger Dr. Andreas Krafack im Newsflix-Interview
Befürwortet eine Verschärfung des Waffenrechts: Psychologe und Sachverständiger Dr. Andreas Krafack im Newsflix-Interview
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Und wie geht es danach weiter?
Wenn alles in Ordnung ist, bekommt der Antragswerber ein positives psychologisches Gutachten das aussagt, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung nichts vorgelegen ist, was gegen den Erwerb einer Faustfeuerwaffe spricht. Wobei hier der Terminus "zum Zeitpunkt" ein wesentlicher Punkt ist. Es sagt nichts aus über mögliche Entwicklungen.

Das heißt, dieses Screening ist bereits ausreichend für eine positive Bewertung, oder gibt es noch weitere Untersuchungen?
Nein, die gibt es nicht. Außer bei der Screening-Untersuchung gibt es Auffälligkeiten. Dann wird der Bewerber zunächst einmal für sechs Monate gesperrt, das heißt, er kann sich zunächst keinen weiteren Untersuchungen unterziehen. Und wenn der Antragswerber nach den sechs Monaten weiterhin ein oder vielleicht auch mehrere psychologische Gutachten möchte, werden – unter Einbehaltung der Sperrfristen – sehr ausführliche Untersuchungen gemacht.

Was heißt hier "sehr ausführlich"?
Der Psychologe oder die Psychologin kann dann sämtliche Testverfahren anwenden, die er oder sie für angemessen hält. Diese Untersuchung dauert viel länger als das Screening und beinhaltet ebenfalls eine lange Exploration sowie mehrere Interviews, etwa zu den Themen Persönlichkeitsstörungen und Störungen der Impulskontrolle. Hinzu kommt der sogenannte "Längsschnitt" seit der letzten Begutachtung – es wird also untersucht, was sich seit dem letzten Begutachtungstermin verändert hat.

Und wenn der oder die Getestete trotzdem negativ bewertet wird?
Wenn drei negative Gutachten innerhalb einer bestimmten Zeit vorliegen, dann ist eine Sperrfrist von zehn Jahren vorgesehen.

Innenminister Gerald Karner: In seinem Ministerium laufen die Fäden für die Bewilligung von Waffenbesitzkarten und Waffenpässen zusammen
Innenminister Gerald Karner: In seinem Ministerium laufen die Fäden für die Bewilligung von Waffenbesitzkarten und Waffenpässen zusammen
Picturedesk

Wer überprüft, dass das auch eingehalten wird?
Jeder Psychologe muss das Innenministerium darüber informieren, wenn er für einen Antragswerber ein negatives Gutachten ausgestellt hat. Und dort wird das dann gespeichert. Das ist allerdings erst seit relativ kurzer Zeit so, bis dahin hat niemand gewusst, wer wie oft negativ getestet worden ist.

Das heißt, früher konnte man den Test so oft wiederholen, wie man wollte?
Genau, es konnte jeder zu jedem Psychologen gehen und schauen, ob er ein positives Gutachten bekommt. Das geht jetzt nicht mehr.

Werden auch die Gutachten ans Innenministerium übermittelt?
Nein, die bleiben beim jeweiligen Psychologen. Will eine Strafverfolgungsbehörde Einsicht in ein Gutachten nehmen – etwa jetzt in jenes des mutmaßlichen Amokläufers von Graz –, dann benötigt sie einen richterlichen Auftrag dafür.

Zusammengefasst: Man hat maximal drei Versuche, durch die psychologische Prüfung für eine Waffenbesitzkarte zu kommen. Und wer dabei scheitert, wird zentral registriert?
Richtig.

Will eine Ermittlungsbehörde Einblick in ein psychologisches Verlässlichkeits-Gutachten, benötigt sie dafür die Unterstützung eines Richters
Will eine Ermittlungsbehörde Einblick in ein psychologisches Verlässlichkeits-Gutachten, benötigt sie dafür die Unterstützung eines Richters
HARALD SCHNEIDER / APA / picturedesk.com

Sind diese Tests für den Antragsteller kostenpflichtig?
Ja. Das Screening, also die erste Untersuchung, kostet 283,20 Euro, das wurde so auch gesetzlich festgeschrieben. Bei der Preisgestaltung für den längeren, eingehenderen Test sind die Psychologen vollkommen frei. Je nachdem, wie viel Zeit sie aufwenden müssen und wie viele unterschiedliche Tests zur Anwendung kommen, wird das Honorar dafür festgesetzt. Aber wenn man das einigermaßen seriös macht, kommt man schon auf 700 bis 800 Euro. Zum Vergleich: Ein längeres Sachverständigengutachten kostet etwa 1.000 Euro und hier ist die Verantwortung ebenso groß.

Das ist nicht ganz billig …
Dieses Honorar wurde vor einigen Jahren festgelegt und müsste durch die hohe Inflation mittlerweile selbst beim Screening bereits höher sein.

Aber ich muss nicht zwangsläufig meine drei Testversuche immer beim selben Psychologen machen, oder?
Nein, obwohl es natürlich sinnvoll wäre. Denn auch wenn ich beim ersten Mal nicht positiv bewertet worden bin, kennt mich dieser Psychologe dann schon und kann auch die Daten miteinander vergleichen. Allerdings ist die Zweituntersuchung beim selben Psychologen wesentlich teurer als das erste Screening. Wechselt aber jemand den Psychologen und beginnt wieder mit einem Screening, muss er oder sie wahrheitsgemäß schriftlich bekannt geben, dass es nicht das erste Mal ist, dass er sich der Untersuchung unterzieht.

Wie lange dauern diese Untersuchungen?
Ein Screening, also der Erst-Test, dauert in der Regel circa eineinhalb bis zwei Stunden und eine ausführliche Untersuchung dauert ungefähr vier bis fünf Stunden.

Medikamente, Alkoholmissbrauch, psychiatrische Behandlungen oder andere gesundheitliche Defizite: es gibt viele Gründe, weshalb man beim Psychotest durchfallen kann
Medikamente, Alkoholmissbrauch, psychiatrische Behandlungen oder andere gesundheitliche Defizite: es gibt viele Gründe, weshalb man beim Psychotest durchfallen kann
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Was wird dabei alles abgefragt?
Die Exploration, also die Befragung, ist das Herzstück der Untersuchungen. Dabei wird etwa hinterfragt, wie die Sozialisation von jemandem aussieht, wie es um die Gesundheit steht, es wird nach Krankheiten gefragt, nach psychiatrischen Behandlungen, ob Antidepressiva genommen werden, Sedativa oder Schlafmittel. Oder ob jemand einmal ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat und es Nachwirkungen gibt. Oder etwa in psychiatrischer Behandlung gewesen ist. Ob es Alkoholmissbrauch gab oder gibt. Auch Alter, Geschlecht und Schulbildung werden natürlich bei den diversen Testverfahren, die im Anschluss an die Exploration erfolgen, herangezogen und die ermittelten Daten danach mit statistischen Normen verglichen.

Worauf wird noch geschaut?
Das Verhalten der Antragswerber beim Gespräch wird genau beobachtet. Da kommt es immer wieder zu Auffälligkeiten.

Welche Art von Auffälligkeiten?
Ich hatte etwa einmal einen Antragswerber, der kam in mein Büro und noch ehe wir begonnen haben zu reden, hat er alle Taschen seiner Kleidung ausgeleert und die Inhalte auf meinen Schreibtisch geschmissen, einfach so. Das war schon hochgradig seltsam. Oder wenn sich jemand nicht unter Kontrolle hat, laut oder aggressiv wird. Etwa wenn vom Antragswerber erbost gefragt wird, warum man diese Untersuchung überhaupt machen muss. Oder wenn der Eindruck offensichtlich ist, dass bei der geringsten Bedrohung eine Faustfeuerwaffe verwendet werden würde, wobei der Tod "in Kauf genommen", die Verhältnismäßigkeit also nicht berücksichtig wird.

Wie reagiert man auf so etwas?
Man muss aufpassen, da kann man sich durchaus auch selbst gefährden. Ich wurde etwa einmal eineinhalb Jahre lang gestalkt, weil eine Person kein positives Gutachten erhalten hat.

Parade-Psychopath Hannibal Lecter: Nicht jeder trägt seine psychologischen Defizite so offen vor sich her, gewisse Persönlichkeitsstörungen tarnen sich auch sehr geschickt
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Je lauter und auffälliger, desto gefährlicher?
Nicht zwangsläufig. Es gibt auch sogenannte Simulanten, die ganz brav und nett und freundlich sind. Das sind dann oft narzisstische, anti-soziale Persönlichkeiten (oder Persönlichkeitsstörungen), und diese Persönlichkeitsstörung kann durchaus auch mit Gewalt einhergehen, jedoch eben nicht bei der Untersuchung.

Kann, aber muss nicht …
Natürlich nicht! Es ist immer eine Augenblicksuntersuchung. Das heißt, es kann sich jemand gut darstellen und viel später, vielleicht erst in ein paar Jahren, in einer Situation, die nicht voraussehbar ist, trotzdem die Kontrolle über sich verlieren. Etwa weil eine Zurückweisung oder massive Kränkung erlebt wurde oder sich jemand gemobbt fühlt. Und dann ist die Gefahr sehr groß, dass so jemand zur Schusswaffe greift. Oder auch zum Messer, das ist in der letzten Zeit ja erschreckenderweise stark angestiegen.

Wird heute schneller Gewalt angewendet als früher?
Ja. Ich bin jetzt seit bald 40 Jahren in diesem Bereich tätig, und ich habe den Eindruck, dass die Gewaltbereitschaft zugenommen hat.

Welche Punkte gibt es noch, auf die geachtet wird?
Wir versuchen außerdem zu ergründen, ob es irgendwelche Konflikte im Leben des Antragsstellers gibt, etwa innerhalb der Familie, oder im Geschäftsleben. Und natürlich wird auch die Motivation hinterfragt, weshalb man überhaupt eine Waffe haben möchte.

Welche Motivationen werden da am häufigsten genannt?
Sportschießen liegt hier ganz vorne, gefolgt von Selbstverteidigung. Wobei ich Selbstverteidigung für eine fragwürdige Motivation halte.

Sportschießen ist der am häufigsten angegebene Grund für den Antrag auf eine Waffenbesitzkarte
Sportschießen ist der am häufigsten angegebene Grund für den Antrag auf eine Waffenbesitzkarte
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Weshalb ist der Wunsch nach Selbstverteidigung fragwürdig?
Wenn man es durchdenkt, dann gibt es kaum Konstellationen, wo einem eine Waffe wirklich mehr Sicherheit gibt. Halte ich mich ans Gesetz, dann bewahre ich die ungeladene Waffe woanders auf als die Munition. Beides muss versperrt sein. Wenn ich jetzt daheim bedroht werde, etwa durch einen Einbrecher, dann wird man nie rechtzeitig seine Waffe holen und laden können, ehe einen dieser Täter überwältigt. Für mich ist Selbstverteidigung keine gute Motivation, um sich eine Waffe zu besorgen. Und sollte es wirklich dazu kommen, dass man sich verteidigen muss, könnte ein Schuss tödlich sein und dadurch die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt bleiben. Dann steht man selbst vor Gericht.

Wie sieht die Situation für Jäger aus?
Wenn jemand Jäger ist, dann muss er den psychologischen Test nicht machen, außer er bzw. sie ist erst 16 Jahre alt. Dann muss der Test trotzdem absolviert werden.

Ab wann dürfen junge Menschen eine Faustfeuerwaffe, also eine sogenannte Kurzwaffe, besitzen?
Erst mit 21 Jahren.

Gibt es noch weitere Hürden auf dem Weg zur eigenen Schusswaffe?
Es gibt noch eine sogenannte Cooling-Down-Phase für all jene, die zum ersten Mal eine Faustfeuerwaffe kaufen. Wer seine Waffenbesitzkarte erhalten hat, darf frühestens drei Tage später zum ersten Mal eine Waffe kaufen. So will man verhindern, dass eine Waffe im Affekt gekauft wird.

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GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Fragen Sie die Menschen, die sich von Ihnen untersuchen lassen, welche Waffe sie kaufen möchten?
Ja, ich frage das immer nach. Und es sagen sicher 90 Prozent der Bewerber, dass sie eine Glock-Pistole haben möchten. Revolver werden kaum mehr nachgefragt.

Haben sie einen Überblick, wie viele Antragsteller negativ begutachtet werden, also durch den Psychotest fallen?
Es fallen verhältnismäßig sehr wenige durch die Begutachtung. Bei den Screenings, also der Erst-Begutachtung, sind es 5 bis 10 Prozent, meiner Erfahrung nach. Allerdings hängt das natürlich sehr davon ab, welche Art von Antragstellern zu einem kommen. Manche Kolleginnen und Kollegen haben ganz andere Erfahrungen.

Der mutmaßliche Amokläufer von Graz wurde vom Bundesheer bei der Stellung für "psychisch untauglich" erklärt. Gleichzeitig konnte er die psychologische Begutachtung im vergangenen März offenbar bestehen, denn im Mai erhielt er seine Waffenbesitzkarte, mit der er eine Pistole kaufte. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz in der psychologischen Einschätzung?
Das sollte nicht passieren, außer es liegen mehrere Jahre zwischen den beiden Begutachtungen. Meiner Meinung nach müssen die Behörden hier enger zusammenarbeiten, es braucht einen besseren Austausch. Wenn jemand beim Bundesheer waffenuntauglich ist, sollte dies genauso zentral registriert werden, wie bei den Verlässlichkeitsuntersuchungen, die wir durchführen.

Wenn ein Antragsteller von einem Psychologen negativ beurteilt wurde und sich nach den sechs Monaten Wartezeit dann einen anderen Psychologen zur Begutachtung sucht – tauschen sich die Psychologen dann über den Fall aus? Also etwa, indem der zweite Gutachter den ersten nach seinen Eindrücken fragt?
Eigentlich ist das nicht üblich. Bei mir wäre das noch nie geschehen. Es ist generell nicht üblich, über Patienten zu reden, nicht zuletzt aufgrund des Datenschutzes.

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Bundespräsident Van der Bellen hat unter dem Eindruck des Amoklaufs von Graz gesagt, wenn der Waffengesetz verbessert werden muss, dann wird das geschehen. Würde er Sie um Verbesserungsvorschläge bitten, was würden Sie sagen?
Die wichtigste Verbesserung wäre, bereits im ersten Test-Durchgang eine so ausführliche, mehrstündige Begutachtung vorzunehmen, wie sie jetzt eigentlich erst bei der zweiten Begutachtung, wenn man bereits einmal durchgefallen ist, gefordert wird. Und – zweiter Punkt – die psychologische Begutachtung sollte in regelmäßigen Abständen, etwa alle fünf Jahre, wiederholt werden müssen, um den jeweiligen psychologischen und gesundheitlichen Status quo zu ermitteln.

Weshalb spielt die zeitliche Dauer der Begutachtung so eine große Rolle?
Zwei Stunden für ein Gutachten ist nicht besonders lange, das halten die meisten Menschen leicht aus, sie bleiben nett und freundlich. Kritischer wird es, wenn das ganze länger dauert, wenn der Stresspegel langsam steigt, der Blutzucker abfällt. Dann fallen auch die Masken. Aber um genau solche Stresssituationen geht es. Wir müssen feststellen, wie jemand, der eine Waffe besitzt, agiert, wenn er unter Druck, in eine Ausnahmesituation gerät.

Waffenland Österreich: "Die Hürden, um an eine Faustfeuerwaffe zu kommen, sind minimal", sagt Experte Andreas Krafack
Waffenland Österreich: "Die Hürden, um an eine Faustfeuerwaffe zu kommen, sind minimal", sagt Experte Andreas Krafack
Getty Images/iStockphoto

Ist es in Österreich zu einfach, an eine Waffe zu kommen?
Ja, Waffen sind in Österreich viel zu leicht für jeden zugänglich. Ein Gewehr bekommt hierzulande ja nahezu jeder ganz locker. Und auch die Hürden für Faustfeuerwaffen sind minimal. Vor allem aber: Die Begutachtung der individuellen Eignung jedes Einzelnen ist viel zu wenig tiefschürfend. Da steht der Aufwand, der getrieben wird, in keinem Verhältnis zur Verantwortung, die man übernimmt, wenn man sich eine Waffe anschafft. Das sollte auf jeden Fall geändert werden.

Und zwar wie?
Wie bereits erwähnt, gleich eine ausführliche Untersuchung beim ersten Psychologen-Termin. Es stehen hier Menschenleben auf dem Spiel, wie man ja bei dem tragischen Amoklauf in Graz erst jetzt wieder sehen konnte. "So etwas darf nie wieder vorkommen" heißt es nach solchen Ereignissen oft – und doch gelangen bestimmte Persönlichkeits-Typen illegal oder auch legal weiterhin ganz leicht an Waffen. Eine Gesetzesänderung ist hier, meiner Meinung nach, eine absolute Notwendigkeit, um die Bevölkerung möglichst zu schützen.

*Hier finden Sie Notrufnummern bei Krise und Suizidgefahr.

Martin Kubesch
Akt. 13.06.2025 12:23 Uhr