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"trans-Propaganda"

Transgender in Kinderserie: Wie Elon Musk zur Jagd auf Netflix aufruft

Eine Animations-Serie mit einem Transgender-Teenager und einer bisexuellen Freundin – ist das für Kinder ab 7 Jahren schon geeignet? Auf keinen Fall, sagt der reichste Mensch der Welt – und fordert seine 227 Millionen Follower auf: "Kündigt Netflix!" Die Hintergründe.

Wittert eine Gefahr für Amerikas Kinder und legt sich deshalb mit Netflix an: Elon Musk, Silicon Valley-Rechtsausleger und mehr denn je der reichste Mensch der Welt
Wittert eine Gefahr für Amerikas Kinder und legt sich deshalb mit Netflix an: Elon Musk, Silicon Valley-Rechtsausleger und mehr denn je der reichste Mensch der WeltALLISON ROBBERT / AFP / picturedesk.com
Martin Kubesch
Akt. 03.10.2025 00:37 Uhr

Barney ist ein netter Teenager in einer zwar nicht mehr ganz neuen, aber wirklich witzigen und originellen Netflix-Serie. Er ist etwas moppelig, trägt seinen Haarschopf blau gefärbt, Ringe in beiden Ohren – und er spricht offen darüber, transgender und schwul zu sein. Im Jahr 2025 so weit nicht ungewöhnlich – zumindest in einem Programm für Teenager oder Erwachsene.

Allerdings ist Barney der Protagonist der Animationsserie "Dead End: Paranormal Park" – und die richtet sich, laut Netflix, explizit an Kinder ab 7 Jahren. Seit das bekannt wurde, laufen zahlreiche Amerikaner Sturm gegen den Streaming-Anbieter. Motto: "Schützt unsere Kinder vor Trans-Propaganda". Und an ihre Spitze hat sich Elon Musk gestellt, mit einem Vermögen von mehr als 500 Milliarden Dollar reichster Mann der Welt und gerade in Transgender-Themen hochsensibel.

Seit Tagen trommelt er gegen das Unternehmen und wiederholt auf seiner Plattform X Mantra-artig die Forderung "Cancel Netflix" – "Kündigt euren Netflix-Account". Wie der Sturm gegen den Streamer immer bedrohlicher wird, weshalb ein derartiges Thema in eine Serie für Kinder kam und wie die Börse reagiert – das müssen Sie über Elon Musks jüngsten Kreuzzug wissen.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte ist die amerikanische Animations-Serie "Dead End: Paranormal Park", von der zwei Staffeln auf dem Streaming-Portal Netflix abrufbar sind. Beide Staffeln bestehen aus je 10 Episoden, die zwischen 25 und 30 Minuten lang sind.

Die homosexuelle Transgender-Person Barney (r.) und seine bisexuelle Freundin Norma: "Dead End: Paranormal Park" ist von Netflix für Kinder ab 7 freigegeben – zu früh?
Die homosexuelle Transgender-Person Barney (r.) und seine bisexuelle Freundin Norma: "Dead End: Paranormal Park" ist von Netflix für Kinder ab 7 freigegeben – zu früh?
Courtesy of Netflix

Kann man die Serie auch bei uns sehen?
Ja, Netflix bietet "Dead End: Paranormal Park" auch mit deutscher Synchronisation an.

Was ist der Inhalt?
Es geht um die Teenager Barney und Norma, die sich beide um einen Job in einem Grusel-Freizeitpark bewerben und dabei bemerken, dass dort tatsächlich Dämonen und Geister von Toten ihr Unwesen treiben, mit denen sie fortan zurechtkommen müssen.

Ist die Serie zu gruselig für Kinder?
Nein, der Spuk-Aspekt ist sehr altersgerecht umgesetzt und keineswegs zum Fürchten. Die Animation ist über weite Strecken ziemlich gelungen, die einzelnen Geschichten sind spannend, nicht vorhersehbar, kurzweilig und die beiden Haupt-Protagonisten Barney und Norma sind – jeder auf seine Art – wirklich sympathische, nette und empathische Teenager.

Wo ist dann das Problem?
Dass die Serie neben den Gespenstergeschichten eine zweite Storyline hat, in der es ziemlich offenherzig um die Sexualität von Barney und Norma geht. Gleich in der zweiten Episode der ersten Staffel erklärt Barney, dass er trans ist und wie wichtig es sei, "man selbst zu sein, ohne sich dafür schuldig zu fühlen". Und später stellt sich heraus, dass Norma, die halbe Pakistani ist, autistisch und bisexuell ist.

Wie werden diese Themen behandelt?
Ziemlich offenherzig. Barney verliebt sich im Freizeitpark in einen vietnamesisch-stämmigen Kollegen und kommt mit ihm am Ende der ersten Staffel auch zusammen. Und Norma wirft ein Auge auf die aus dem Iran stammende Badyah, die mit ihr zwar befreundet sein will, aber keinen Sex mit Norma möchte, weil sie heterosexuell ist.

Wie bewirbt Netflix "Dead End: Paranormal Park"?
Die Serie wird dort mit folgendem Text vorgestellt: "Barney und Norma (…) nehmen es mit Zombie-Maskottchen, Dämonen-Moderatoren, schlafraubenden Hexen und dem unheimlichsten Gegner überhaupt auf: ihrer eigenen Pubertät."

Und die Altersfreigabe?
Liegt bei 7 Jahren, sowohl im Ursprungsland USA, als auch bei uns im deutschsprachigen Raum.

Das ist das Problem?
Ja, jedenfalls seit einigen Tagen. Denn obwohl die Serie bereits 2022 (Staffel 1) bzw. 2023 online ging und danach von Netflix eingestellt wurde, obwohl eigentlich noch eine dritte Staffel hätte produziert werden sollen, kümmerte sie bis vor kurzem niemanden.

Warum das?
Schuld daran ist wohl das schiere Überangebot im Streaming-Katalog von Netflix. Nur wer explizit danach suchte, oder vom Algorithmus darauf gestoßen wurde, bekam mit, dass es "Dead End: Paranormal Park" überhaupt gibt. Aufgeregt hat das bislang kaum jemanden.

Stellte seine Accounts auf X und Instagram auf privat, um dem Shitstorm der Musk-Follower zu entgehen: Serien-Schöpfer Hamish Steele auf seiner Homepage
Stellte seine Accounts auf X und Instagram auf privat, um dem Shitstorm der Musk-Follower zu entgehen: Serien-Schöpfer Hamish Steele auf seiner Homepage
Screenshot hamishsteele.co.uk

Und was ist jetzt anders?
Konservative Kreise in den USA wurden offenbar vor kurzem auf die Serie aufmerksam – weshalb auch immer – und traten auf X eine Lawine los. Denn ihre wütenden Postings, dass Netflix hier gezielt eine "woke Transgender-Agenda" auf Amerikas Kinder loslassen würde, wurden von X-Eigentümer und Multimilliardär Elon Musk gesehen und re-tweetet. Und damit in die Timeline von seinen mehr als 227 Millionen Followern gespült.

Wie äußert sich Elon Musk dazu?
Dass man, der "Gesundheit seiner Kinder zuliebe", Netflix so rasch wie möglich canceln, also kündigen solle. Diesen Aufruf wiederholt er seither gebetsmühlenartig immer wieder, auch mit Hinweisen auf andere Netflix-Programme, die er als zu "woke" einschätzt.

Wie reagierten seine Follower?
Mit breiter Zustimmung. Oftmals gehässige Memes und Reels sowie jede weitere Art von Unterstützung flutet seither die Plattform. Viele feiern den Milliardär dafür, dass er wieder einmal "den Finger in eine schwärende Wunde Amerikas gelegt" habe, die es zu heilen gilt, um Amerika wieder "great" zu machen. Und viele User posten mittlerweile auch Screenshots ihrer Netflix-Kündigungen.

Wie reagierte Netflix?
Bislang noch gar nicht, zumindest nicht offiziell. Der in Kalifornien beheimatete Branchen-Primus, das mit seinen Streaming-Angeboten heuer einen Umsatz von 45 Milliarden Dollar (etwa 38 Milliarden Euro) anpeilt, scheint derzeit offenbar zu versuchen, den Shitstorm "durchrauschen" zu lassen, bis sich die Aufregung wieder legt.

Und die Anleger?
Nachdem Elon Musks Aufforderungen viral gingen, gab der Kurs von Netflix an der Börse in New York am Mittwoch zeitweilig um etwa zwei Prozent nach. Am Donnerstag erholte sich die Aktie allerdings langsam wieder und gewann an Terrain zurück.

An der New Yorker Börse reagierte der Aktienkurs von Netflix auf den Bannstrahl von Elon Musk, das Papier sank um gute zwei Prozent, stieg aber dann wieder
An der New Yorker Börse reagierte der Aktienkurs von Netflix auf den Bannstrahl von Elon Musk, das Papier sank um gute zwei Prozent, stieg aber dann wieder
Picturedesk

Wer hat "Dead End: Paranormal Park" eigentlich erfunden?
Der britische Comic-Zeichner und Animationsfilm-Regisseur Hamish Steele, und zwar auf der Basis eines seines Comics namens "Dead-Endia". Steele, der 2018 einen Eisner-Award (der Oscar der englischsprachigen Comic-Welt) gewinnen konnte, ist selbst schwul und autistisch, auch seine Arbeiten kreisen meist um diese Themengebiete und verbinden sie mit Geschichten für Kinder und Jugendliche.

Und ihn haben die Social Media-Wutbürger nicht ins Visier genommen?
Doch, natürlich. Vor allem, als auf X Gerüchte auftauchten, Steele hätte das tödliche Schussattentat auf den konservativen US-Influencer Charlie Kirk auf Social Media gutgeheißen.

Wie regierte der Schöpfer der Serie?
Vor allem rasch. Er stellte seine Accounts auf Twitter und Instagram auf privat, nur auf Bluesky ist er noch erreichbar, wo er auch selbst seine Sicht der Dinge darlegt – und jede Befriedigung über das Attentat auf Charlie Kirk abstreitet.

Was bedeutet das?
Dass sich der Zorn mittlerweile auf Netflix konzentriert, das die Serie in Auftrag gegeben hatte und offenbar nach wie vor dazu steht.

Gibt es keine Fürsprecher für die Serie?
Doch, sehr viele sogar, und auch sie melden sich auf Social Media zu Wort. Prototypisch ist dass Posting des Schauspielers Zach Barack, der der Figur des Barney im Original seine Stimme leiht. Er schreibt: "Ich bin trans und seit 10 Jahren geoutet. Ich bin glücklicher als je zuvor und wenn mir jemand diese Fernsehsendung als Kind gezeigt hätte, hätte ich mir Jahre des Selbsthasses erspart! Sie können so viel Angst schüren, wie Sie wollen, aber Kinder und Eltern haben mir gesagt, dass es ihnen das Leben gerettet hat!!"

Gegen Ende der ersten Staffel kommt Barney mit seinem Schwarm, dem vietnamesisch-stämmigen Logan Nguyen zusammen
Gegen Ende der ersten Staffel kommt Barney mit seinem Schwarm, dem vietnamesisch-stämmigen Logan Nguyen zusammen
Courtesy of Netflix

Ist "Dead End: Paranormal Park" nach wie vor abrufbar?
Ja. Netflix habe zwar die Werbung für die Serie auf seiner Plattform derzeit eingestellt, schreibt Serien-Schöpfer Hamish Steele. Aber wer danach sucht, findet sie ohne Probleme.

Wie kam die Serie überhaupt auf Netflix? War das ein Irrtum?
Wohl kaum. Bis vor kurzem brüstete sich der Streamer damit, für sogenannte "unterrepräsentierte Gruppen" in der Bevölkerung besonders viele eigene Programme anzubieten – also ethnische, gesellschaftliche und sexuelle Gruppen. Musk re-tweetete sogar einen Auszug aus einer Netflix-Präsentation, in der Netflix seine diesbezüglichen Fortschritte präsentierte – Salz in die Wunden der "MAGA"-Bewegung.

Weshalb sind die USA gerade beim Thema Transgender so sensibel?
Einerseits, weil die Trump-Regierung seit einiger Zeit Maßnahmen ergreift, um den Schutz von Transgender-Personen aufzuheben. Und andererseits, weil sich in den vergangenen Jahren um Transgender-Personen und Trans-Rechte ein regelrechter Kulturkampf entwickelt hat. Diese starke Polarisierung und die hohe mediale Sichtbarkeit machen das Thema in den USA für Jugendliche besonders präsent.

Und warum fokussiert sich Elon Musk so sehr darauf?
Transgender-Themen gehören seit vielen Jahren zu seinen "Lieblings-Aufregern", was möglicherweise auch an einer persönlichen Befasstheit liegt. Denn eines seiner bislang 14 Kinder, die 2004 geborene Vivian Jenna Wilson, kam als Xavier zur Welt, bekannte sich später zur Trans-Identität und änderte 2022 Vor- und Nachnamen.

Seither hat Musk seine Tochter schon öfter für "tot" erklärt.

Martin Kubesch
Akt. 03.10.2025 00:37 Uhr