Nur "biologische" Frauen sind wirklich Frauen, sagt Joanne K. Rowling – und zieht damit seit Jahren den Zorn der Transgender-Community auf sich. Nun fällte der Oberste Gerichtshof ein Urteil im Sinne der Autorin. Und entfachte den Streit neu.
Es ist längst ein Kreuzzug, von beiden Parteien.
Auf der einen Seite Joanne K. Rowling, die weltbekannte Autorin, Erfinderin von Harry Potter sowie dem Privatdetektiv Cormoran Strike, die dank ihrer schriftstellerischen Kreativität längst Euro-Milliardärin ist. Sie hat eine sehr klare und differenzierte Meinung zum Thema Transsexualität. Und diese Meinung vertritt sie seit einigen Jahren und mit zunehmender Vehemenz auf allen möglichen Kanälen.
Und auf der anderen Seite die britische Trans-Community, also transsexuelle Menschen und die Unterstützer ihrer Anliegen. Sie fühlen sich durch die als "trans-feindlich" wahrgenommene Haltung der Schriftstellerin zunehmend diskriminiert – und haben Rowling deshalb mittlerweile zu ihrem "Feindbild Nummer 1" erklärt.
Gerichtsurteil gießt Öl ins Feuer Zusätzliche Brisanz hat die Auseinandersetzung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von Großbritannien erhalten. Mitte April hatte das Gericht entschieden, dass für die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen nicht das soziale, sondern nur das biologische Geschlecht ausschlaggebend ist.
Rowling hatte mit großen Geldspenden jene Klage, die zu dem Urteil geführt hat, massiv unterstützt. Und sie feierte den Richterspruch demonstrativ und nach Ansicht mancher Beobachter so provokant (siehe X-Posting unten), dass sie mittlerweile für viele als der Gottseibeiuns der britischen Trans-Community gilt.
Weshalb Joanne K. Rowling seit Jahren ein Feindbild für die Trans-Community vor allem in Großbritannien darstellt, worum es der Autorin in der ganzen Sache geht, weshalb sie sich auf diese Auseinandersetzung überhaupt eingelassen hat und wie Rowling ihren Kreuzzug nun weiterführen möchte – hier die wichtigsten Fakten im Überblick:
Worum geht es hier eigentlich?
Die Harry Potter-Erfinderin begann nach eigener Aussage bereits Ende der 2010er-Jahre, sich mit dem Thema Transsexualität auseinanderzusetzen. Einerseits als Recherche für ihre Cormoran Strike-Krimis (die sie unter dem Namen Robert Galbraith verfasst), andererseits aus persönlichem Interesse.
Wie ging Rowling dabei vor?
Sie unterstützte unter anderem eine Frau, die wegen angeblich "transphober" Tweets ihre Anstellung verloren und dagegen geklagt hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei sie Anfeindungen von "Trans-Aktivisten" ausgesetzt gewesen, so die Autorin in einem langen Manifest auf ihrer Homepage.
Wie ging es weiter?
Im Juni 2020 äußerte sich Rowling in einer Reihe Tweets negativ über einen Artikel, in dem unter anderem der Begriff "menstruierende Menschen" als Bezeichnung für Frauen verwendet wurde. Es sollte damit offenbar das Bild aufgebaut werden, dass ein Mensch nicht zwingend menstruieren können (oder gekonnt haben) muss, um eine Frau zu ein. An dieser semantischen Spitzfindigkeit stieß sich Rowling und hielt damit auch nicht hinter dem Berg.
Und zwar wie?
Sie schrieb, dass ausschließlich das biologische Geschlecht eines Menschen real sei. Denn wenn dem nicht so sei, würde "die gelebte Realität von Frauen ausgelöscht". Und sie merkte an, dass die Gesellschaft immer frauenfeindlicher würde. Das erzeugte heftigen Widerspruch bei Transgender-Aktivisten, die sogar so weit gingen, Rowlings Adresse zu veröffentlichen und sich vor ihrem Haus zu fotografieren. Die Autorin erhielt "so viele Morddrohungen, dass ich mein Haus damit hätte tapezieren" können, wie sie später erklärte.
Woran stößt sich die Community?
Der Britin wurde – und wird – vor allem eine Trans-feindliche Rhetorik unterstellt, weil sie mit ihren zahlreichen Statements in diversen Beiträgen und Postings Stereotype und Ängste von Trans-Menschen schüre. Einige Aktivisten werfen ihr auch vor, eine TERF zu sein.
Was ist eine TERF?
TERF oder "Trans-Exclusionary Radical Feminism" (Trans-ausschließender radikaler Feminismus) bezeichnet in der Szene Menschen, die sich als Feministen verstehen, aber Trans-Menschen, vor allem Trans-Frauen, gleichzeitig nicht als "echte" Frauen betrachten und diese damit diskriminieren würden. Der Begriff wird meist als Beleidigung verwendet.
Aber ist Rowling wirklich gegen Trans-Menschen?
Sie selbst sagt nein, ihre Kritiker halten das jedoch für eine Schutzbehauptung. Denn die Autorin ist der Meinung, dass die nur langsam und sehr mühselig erkämpften Frauenrechte in Gefahr seien, wenn die Definition der Geschlechter verwischt würde – und genau das geschehe im Zuge der ganzen Trans-Debatte derzeit.
Inwiefern wird die Geschlechter-Definition verwischt?
In den meisten liberalen europäischen Staaten ist die rechtliche Situation so, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden kann, welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlt, ungeachtet des Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde. Doch daraus, welches Geschlecht einer Person juristisch zugeordnet wird, leiten sich unterschiedliche rechtliche und gesellschaftliche Möglichkeiten ab.
Das heißt konkret?
De facto geht es bei der ganzen Diskussion immer um die Rechte und Möglichkeiten, die sich für jene Menschen eröffnen, die ursprünglich als Männer geboren worden sind, ihren Geschlechtseintrag aber auf weiblich umändern haben lassen.
Welche Rechte sind hier gemeint?
Das beginnt bei der nur auf den ersten Blick banalen Frage, auf welche Toilette eine Trans-Frau gehen und in welcher Umkleide sie sich umziehen darf. Ob Trans-Frauen einen Wehr- oder Zivildienst leisten müssen, ob sie im Leistungssport in Damenbewerben antreten dürfen. Ob sie Zutritt zu Frauenhäusern oder Frauenabteilungen im Gesundheitsdienst haben und auch, ob sie gegebenenfalls im Gefängnis in den Männer- oder den Frauenbereich kommen.
Ist denn keine geschlechtsangleichende Operation nötig, um als Trans-Frau zu gelten?
In Österreich sind bereits seit 2009 weder Operation, noch Hormonbehandlung oder Sterilisation Voraussetzung für eine Änderung der Geschlechtszugehörigkeit. Es genügt, wenn sich ein Mann dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt. Die Änderung seines Geschlechtseintrages kann bei jedem Standesamt oder Magistrat beantragt werden, es braucht dazu allerdings ein ärztliches Gutachten als Bestätigung. Das gilt umgekehrt für Frauen natürlich genauso.
Und dann gilt jemand, der als biologischer Mann geboren wurde, als Frau?
Rein rechtlich gesehen ja. Es gibt bislang in Österreich kein Gesetz, das regeln würde, ob für Trans-Menschen in bestimmten Situationen andere Regeln gelten als für Menschen, die ihr biologisches Geschlecht beibehalten. In der Praxis ist die Selbstidentifikation ausschlaggebend. Wer sich als Frau fühlt und vor dem Gesetz als Frau gilt, der hat auch Zutritt zu Frauen vorbehaltenen Orten.
Wie viele Menschen haben in Österreich bereits ihren Geschlechtseintrag ändern lassen?
Dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Es wird auf Basis von Befragungen geschätzt, dass sich etwa 0,35 bis 0,6 Prozent aller Menschen in Österreich als "transident" identifizieren. Das würde bedeuten, dass etwa 30.000 bis 55.000 Menschen hierzulande "trans" wären. Allerdings stammen diese Zahlen der Sozialversicherung bereits aus dem Jahr 2020.
Könnte die tatsächliche Zahl größer sein?
Davon ist auszugehen. Laut Bundeskanzleramt ist die Zahl der transidenten Menschen vermutlich höher, da nicht alle medizinische oder rechtliche Schritte unternehmen, um ihr Geschlecht anzugleichen.
Wie ist die Situation international?
In den meisten westlichen Ländern ähnlich wie in Österreich. Einige Staaten haben aber darüber hinaus bereits sogenannte Selbstbestimmungsgesetze beschlossen, bei denen Menschen auch ohne Angabe von näheren Gründen oder Vorlage von ärztlichen Attesten ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Im Falle von Deutschland, wo dieses Gesetz im letzten November in Kraft getreten ist, kann man etwa einmal pro Jahr seine Geschlechtsidentität ändern lassen.
Läuft das überall problemlos ab?
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Aus Spanien gibt es Berichte, wonach Männer, die Gewalttaten an Frauen verübt haben, sich gezielt zu Frauen "umdeklarieren" würden, um dadurch ein milderes Urteil vor Gericht zu bekommen, weil in diesem Fall andere Paragrafen zur Anwendung kämen. Und auch Fälle, wo sich Männer auf die Art bessere Karrierechancen ausrechneten – Stichwort Quotenregelung – soll es bereits gegeben haben, berichtet das Frauenmagazin Emma.
Wie ist die Situation in Großbritannien?
Dort galten bis vor kurzem ähnliche Regeln wie bei uns. Vor allem in Schottland wurde der Geschlechterbegriff sehr liberal ausgelegt, was zu manchen Problemen führte. Transfrauen – also auch Männer, die sich selbst zu Frauen erklärten – hatten in allen Bereichen des Lebens die Möglichkeit, Frauen vorbehaltene Räume zu nutzen. Das ging so weit, dass Transfrauen – biologisch nach wie vor Männer – Frauenhäuser leiteten und dort Vergewaltigungsopfer zu betreuen hatten. Dagegen wurde geklagt – und gewonnen.
Das ist das Urteil, zu dem Joanne K. Rowling beigetragen hat?
Die Klage vor dem Obersten Gerichtshof wurde von einer Frauenrechtsorganisation namens For Women Scotland geführt, die von Rowling seit geraumer Zeit ideell und auch finanziell sehr unterstützt wird.
Was wurde da jetzt entschieden?
Dass das hier anzuwendende Gleichstellungsgesetz zwischen Männern und Frauen in erster Linie auf den Schutz biologischer Frauen abziele. Mit anderen Worten, Frauen vorbehaltene Räume, Orte und Regelungen sind für biologische Frauen da, aber nicht (mehr) für Trans-Frauen. Das biologische Geschlecht erhält hier von der Justiz den Vorzug gegenüber dem gefühlten Geschlecht einer Person.
Wie wurde die Entscheidung aufgenommen?
Die Politik nahm es zur Kenntnis, vielfach hatte man den Eindruck, die Politiker seien froh, dass ihnen die Richter diese Entscheidung abgenommen hatten. In der Bevölkerung findet das Urteil ebenfalls breite Zustimmung. In der Trans-Community wird es verständlicherweise als Rückschritt gewertet, man fürchtet Repressalien und eine Stigmatisierung. Auch diverse LGBTQ-Organisationen sowie Amnesty International kritisierten den Richterspruch.
Und sonst?
Der britische Fußballverband setzte das Urteil umgehend um, indem er mehr als 20 Amateurfußballerinnen ausschloss, die bislang als Trans-Frauen in reinen Frauenmannschaften antreten durften. Diese Entscheidung gilt ab 1. Juni. In britischen Profi-Ligen waren schon bisher keine Trans-Frauen aufgelaufen.
Und Joanne Rowling?
Sie feierte das Urteil mit einem Posting auf X, das sie mit einer Zigarre und einem Glas Whisky auf einer Jacht in der Karibik zeigt. Der launige Text dazu: "Ich liebe es, wenn ein Plan aufgeht."
Wird die Autorin jetzt ein wenig leiser treten?
Das ist nicht zu erwarten. Sie hat bereits angekündigt, dass sie jetzt Frauen finanziell dabei unterstützen werde, ihre Rechtsansprüche, die sich aus dem Höchstgerichtsurteil ergeben, auch durchzusetzen. Was ihre Gegner in der Trans-Community sofort zum nächsten Rundumschlag gegen die Autorin nutzten. Doch Rowling gibt sich entspannt – und zofft sich mit ihren Widersachern auf X. Es hat nicht den Anschein, als wäre für sie mit dem Urteil der letzte Satz in diesem Stück bereits geschrieben.