Glattauer- analyse

Blaue Lehrpläne: Was Kickl mit unseren Schulen vorhat

Handyverbot, Kopftuchverbot, Schuluniform: In einer blau-schwarzen Koalition könnte es erstmals einen FP-Bildungsminister geben. Was 1.172.406 Schüler, deren Eltern und mehr als 110.000 Lehrerinnen* dann zu erwarten haben, analysiert Niki Glattauer.

Niki Glattauer ist als ehemaliger Schuldirektor in Wien Experte in Bildungsfragen
Niki Glattauer ist als ehemaliger Schuldirektor in Wien Experte in Bildungsfragen
Sabine Hertel
Niki Glattauer
Akt. Uhr
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Höflich, pünktlich, brav Herbert Kickl hatte sein Verständnis von Schule und etwaigen Reformen im letzten Wahlkampf recht eindeutig präzisiert. In der Kronen Zeitung auf seine Vorstellungen davon angesprochen, sagte der FPÖ-Chef genau einen Satz (zumindest gab der Redakteur nur diesen einen Satz wieder): "In der Schule lernt man Höflichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin."

Was sind die blauen Rezepte? Kann man natürlich so sehen; wird aber nicht reichen. Da unsere Kinder und Jugendlichen in immer mehr Schulen für ein erfolgreiches Erwerbsleben nicht mehr ausreichend (aus)gebildet werden, weil es äußere Umstände und halbherzige Bildungsreformen, die diesen Namen in Wahrheit nie verdient haben, unseren Lehrerinnen unmöglich machen, adäquat "Stoff" zu unterrichten, wollen viele Österreicher wissen: Was sind die Rezepte der Blauen gegen die Bildungsmisere?

Die FPÖ von Herbert Kickl könnte erstmals den Bildungsminister stellen, viel Lust auf den Posten wird ihr nicht unterstellt
Die FPÖ von Herbert Kickl könnte erstmals den Bildungsminister stellen, viel Lust auf den Posten wird ihr nicht unterstellt
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Hier mein Versuch einer Analyse und vorweg drei Feststellungen:

  • Nr. 1: Die "Migrationskarte" Dem Vernehmen nach reißen sich die Blauen nicht wirklich um den Bildungsminister. Das liegt erstens daran, dass Schule und Uni auf der Prioritätenliste ihres Parteichefs nicht wirklich weit vorn liegen – von Herbert Kickls eigener Schulzeit ist primär der Kuss von Eva Glawischnig beim Flaschendrehen tradiert. Zweitens gäbe es beim Thema Bildung für das eigene Parteiprofil nur dann etwas zu gewinnen, wenn man auch dort die "Migrationskarte" spielen würde. Dass diese aber nicht Trumpf ist, wenn es um mehr geht als um "Höflichkeit, Pünktlichkeit und Disziplin", weiß man auch in der FPÖ.
  • Nr. 2: Mögliche Kandidaten Doch, die FPÖ hat einen Bildungssprecher, der heißt, nein, nicht Herbert Kickl, sondern – phonetisch nicht unähnlich – Hermann Brückl. Und der ist, nein, nicht Kärntner, sondern Oberösterreicher, sitzt im Nationalrat und ist hauptberuflich tätig am Bezirksgericht Schärding. Als blaue Karte für den Job als Bildungsminister wird er aber weniger hoch gehandelt als sein Wiener Parteikollege Maximilian Krauss. Dem Vernehmen nach auch im Gespräch: die Juristin – und Rechtsanwältin in Wels – Susanne Fürst.
  • Nr. 3: Mit dem Handy könnte es beginnen Krauss war vor rund 10 Jahren von Heinz-Christian Strache im zarten Alter von 21 zum stellvertretenden Wiener Stadtschulratspräsidenten nominiert worden. Alt-Bürgermeister Michael Häupl verhinderte ihn dann mit Verweis auf seine "radikalen Ansichten". Welch Triumph also, feierte Krauss nun als Minister sein Comeback und könnte das rot-pinke Wien durch gezielte "Handlungen und Unterlassungen von oben" vor sich hertreiben. Krauss ist für ein Kopftuchverbot, er gilt als Befürworter einer Schuluniform und will das Handy aus der Schule verbannen. Damit könnte Blau, ohne auch nur ein einziges Bildungsproblem zu lösen, erste populäre Zeichen setzen.

Damit zum "Programm" der Blauen – und damit es spannend wird, zuerst zu dem, was NICHT käme, würde das Bildungsministerium von der FPÖ besetzt werden …

Der blaue Bildungssprecher Hermann Brückl sitzt im Nationalrat und arbeitet am Bezirksgericht Schärding
Der blaue Bildungssprecher Hermann Brückl sitzt im Nationalrat und arbeitet am Bezirksgericht Schärding
Harald Dostal / picturedesk.com

Was mit Blau (eher) NICHT käme

Die "Gemeinsame Schule" Eine "Gesamtschule kommt für uns nicht in Frage", erklärt Bildungssprecher Herman Brückl wortgleich, wann immer er darauf angesprochen wird. Sie würde wegen "der Heterogenität der Schüler das Bildungssystem massiv verschlechtern". Die Mittelschule müsse als Alternative zum Gymnasium erhalten und mit Schwerpunkten und Leistungsgruppen gestärkt werden.

Dafür die Volkschule bis 12? In den gescheiterten Verhandlungen von Türkis-Rot-Pink war die Verlängerung der Volksschule bis zum 12. Lebensjahr bis zuletzt Thema. Im Standard schon lange vor der Nationalratswahl darauf angesprochen, hatte sich Hermann Brückl nicht festlegen wollen: "Wir wollen auf jeden Fall eine Differenzierung. Ob man die Primarstufe vier oder sechs Jahre macht, darüber kann man reden." Sieh da! Aber schon im nächsten Satz: "Ich bin ein Anhänger dieser vier Jahre und dass man dann die Trennung vornimmt."

Könnte für die FPÖ das Bildungsministerium übernehmen: die Welser Rechtsanwältin Susanne Fürst bei der 1. Mai-Kundgebung der FPÖ 2024 am Urfahraner Jahrmarktgelände
Könnte für die FPÖ das Bildungsministerium übernehmen: die Welser Rechtsanwältin Susanne Fürst bei der 1. Mai-Kundgebung der FPÖ 2024 am Urfahraner Jahrmarktgelände
FOTOKERSCHI.AT / APA / picturedesk.com

Da Handwerker, dort G‘studierte Brückl weiter: "Die Aufteilung kommt ja auch ein bisschen dem Humboldt'schen Bildungsideal nahe. Man hat ein umfassendes Wissen, und dann ist der eine halt handwerklich ein bisschen begabter und sagt: Okay, ich will eher in den Beruf gehen und mache die Mittelschule, und der andere sagt: Ich habe mehr Forschergeist, mein Talent ist eher wissenschaftlich ausgelegt, ich gehe ins Gymnasium."

Kurzer Zwischenkommentar: So hat man gedacht, als meine Mutter noch zur Schule ging. Ist ein knappes Jahrhundert her.

Die Tante für den Kindergarten Zum Jahreswechsel hatte der FPÖ-Landesparteiobmann in Kärnten, Erwin Angerer, Folgendes gesagt: "Kann man nicht auch einmal wieder eine Kindergartentante einführen? Die Tanten sagen zu mir, solange ich die Kindergartentante war, war die Welt in Ordnung, und jetzt sind wir Pädagoginnen, jetzt haben wir keine Leute mehr."

Mein Kommentar: Statt dass man den Kindergarten durch professionelle Elementarpädagogik endlich auch in Österreich zur ersten und wichtigsten Schule des Landes macht, wünscht sich einer also die "Tanten" zurück. Einer von vielen Salti rückwärts. Bravo, blauer Onkel!

"Kindergartentanten" statt Pädagoginnen: der Kärntner FP-Nationalrat und Bürgermeister von Mühldorf, Erwin Angerer, sehnt sich zurück in die "gute alte Zeit"
"Kindergartentanten" statt Pädagoginnen: der Kärntner FP-Nationalrat und Bürgermeister von Mühldorf, Erwin Angerer, sehnt sich zurück in die "gute alte Zeit"
Johann Groder / EXPA / picturedesk.com

Reform der Schulverwaltung In den Programmen der meisten anderen Parteien stand eine Reform der Bildungsdirektionen. Mit Blau wird es diese wohl weiterhin geben. Leider. Warum leider? Weil sie in ihrer jetzigen Form als Hybridbehörde aus Bund UND Land eine Fehlkonstruktion sind, die nur dort wirksam funktionieren kann, wo Land und Bund politisch gleich besetzt sind. Anders als bei ihrer Einführung gedacht, sind sie weder Servicestelle für Schüler und Eltern, noch verlängerter Arm der Schuldirektionen, sondern bevormunden diese und beschränken ihre Autonomie.

Mehr Geld für Vollzeit-Lehrer War eine Idee der NEOS. Wer bereit ist, eine volle Lehrverpflichtung einzugehen, solle als Belohnung einen "Vollzeit-Bonus" von 1.200 Euro jährlich bekommen.

Mein Kommentar: Ich fand den Vorschlag stets ein bisschen hmm. Jemandem zusätzlich Geld dafür geben, dass er (oder sie) wie vorgesehen arbeitet? Die Blauen werden diese Karte schon allein aus Geldmangel nicht spielen.

Mehr Mittel für Schulen, deren Schüler weniger Chancen im Leben haben – das macht der Chancen-Index. Die Chance auf seine Einführung sinkt mit einer FP-geführten Regierung gen Null (Szene aus dem Dokumentarfilm "Favoriten", der in einer solchen Schule gedreht worden ist)
Mehr Mittel für Schulen, deren Schüler weniger Chancen im Leben haben – das macht der Chancen-Index. Die Chance auf seine Einführung sinkt mit einer FP-geführten Regierung gen Null (Szene aus dem Dokumentarfilm "Favoriten", der in einer solchen Schule gedreht worden ist)
Filmladen

Kein Sozialindex Der so genannte "Chancen-Index" würde bedeuten, Schulen mit besonderen Herausforderungen besonders viel Geld zu geben (und anderen dafür weniger). Welchen Schulen wieviel mehr oder weniger, würde nach einer Formel berechnet werden, die soziale Umstände der Schüler wie Muttersprache, Vorbildung, Einkommen etc. berücksichtigt. Aus der Ideen-Schmiede der–  aus blauer Sicht "linken" – AK kommend und von Rot über Grün bis Pink favorisiert, hat der Chancenindex nun keine Chance mehr auf Realisierung.

Keine Schützenhilfe für Wien Wohl mit ein Grund: Die Schulen im roten Wien würden durch einen Sozialindex finanziell spürbar gestärkt, da ihre Mittel- und Sonderschulen zu 100 Prozent und ihre Volksschulen zu zwei Drittel unter den höchsten Index fielen.

Damit nun zu einigen Punkten, die meiner Einschätzung nach mit einem blau besetzten Bildungsministerium zu erwarten wären:

Eine junge Türkin schwimmt in einem sogenannten "Burkini" in einem Berliner Bad. Das Kleidungsstück hat bei der FPÖ und ihren Anhängern schlechte Karten
Eine junge Türkin schwimmt in einem sogenannten "Burkini" in einem Berliner Bad. Das Kleidungsstück hat bei der FPÖ und ihren Anhängern schlechte Karten
STEPHANIE PILICK / EPA / picturedesk.com

Was mit Blau BESTIMMT bzw. WAHRSCHEINLICH käme

Nr. 1 auf der "Bildungs"-Agenda der FPÖ war in den letzten Jahren, wenig überraschend, der Umgang mit Kindern von Zuwanderern. Darunter fielen Deutschsprechgebote am Schulhof und in den Pausen, Druck auf die Eltern von nicht oder nur mangelhaft Deutsch sprechenden Kindern unter Androhung von "Geldbußen".

Außerdem ein generelles Kopftuchverbot für Schüler (und auch deren Lehrerinnen) sowie "klare Kante" in Sachen Schweinefleisch, vermeintliches "Sittenwächtertum" oder Schwimmunterricht für muslimische Mädchen – Stichwort Burkini. Überhaupt war die Bekleidung eines  d e r  FPÖ-Schulthemen der letzten Jahre. Beginnen wir also damit:

Keine Jogginghosen Im vergangenen Schuljahr hatten zwei Fälle medial für Aufregung gesorgt. In einer Kärntner Mittelschule der Ursulinen (Privatschule St. Ursula in Klagenfurt) war den Eltern bei Schulstart schriftlich mitgeteilt worden, dass eine adäquate Schulbekleidung so auszusehen habe: "Keine Jogginghosen, Hotpants, Leggings, keine zu kurzen beziehungsweise bauchfreien Shirts oder Shirts mit Spaghetti-Trägern etc. ür Röcke und kurze Hosen gilt: nicht kürzer als eine Handbreite über dem Knie."

Ähnliches kurze Zeit später in einem Gymnasium in Stockerau. Nachdem es daraufhin dort zu Protesten von Schülerinnen gekommen war, forderten FPÖ-Wien-Chef Dominik Nepp und Maximilian Krauss als FPÖ-"Jugendsprecher" nicht nur ein "Jogginghosen-Verbot", sondern darüber hinaus gleich eine "einheitliche Schulkleiderordnung".

Strengere Kleidungsregeln für Schülerinnen könnten eine der ersten Schul-Amtshandlungen der FPÖ sein
Strengere Kleidungsregeln für Schülerinnen könnten eine der ersten Schul-Amtshandlungen der FPÖ sein
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Dafür die Schuluniform Tatsächlich wurde Wiens Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr wenig später im Gemeinderat von der FPÖ aufgefordert, ein Konzept für "von der Stadt finanzierte Schuluniformen" auszuarbeiten (was er nicht tat). Argument der Blauen: Schuluniformen würden "den sozialen Druck von den Schülern nehmen", das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und "oft auch Mobbingvorfälle verhindern".

Mein Kommentar: Eine bundesweite Schulkleiderordnung, die gewisse Gebote und Verbote beinhaltet, ist zu erwarten. Schulen könnte per Erlass auch erlaubt werden, eine eigene Uniform einzuführen.

Aber ohne Kopftuch Mario Kunasek, neuer blauer Landeshauptmann in der Steiermark, hat damit nicht hinter dem Berg gehalten: In "seinem" Bundesland werde es das Kopftuchverbot geben – und zwar für Schülerinnen UND Lehrerinnen. Ein solches – wenn auch nur für Volksschülerinnen – hatten wir ja bereits (eingeführt unter Türkis-Blau), es wurde aber vom Verfassungsgerichtshof mit der Begründung gekippt, dass es der Religionsfreiheit widerspreche.

Dem Kurier-Redakteur Christian Böhmer erklärte der Grazer Uni-Professor und Verfassungsrechtsexperte Christoph Bezemek: „Eigentlich sollte der Staat die Religionsausübung möglichst gar nicht einschränken. Und wenn er das tun möchte, indem er beispielsweise Kopfbedeckungen verbietet, kann er dies nur für alle Religionen vorsehen. (…)

Plant in "seinem" Bundesland ein Kpftuchverbot für Schülerinnen und Lehrerinnen: der neue steirische Landeshauptmann Mario Kunasek am Wahlabend, dem 24. November 2024, in Graz
Plant in "seinem" Bundesland ein Kpftuchverbot für Schülerinnen und Lehrerinnen: der neue steirische Landeshauptmann Mario Kunasek am Wahlabend, dem 24. November 2024, in Graz
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Kreuz darf bleiben "Ein Kruzifix auf der Brust", so Bezemek, "ist das Gleiche wie ein muslimisches Kopftuch oder eine jüdische Kippa." Ein Argument, das die FPÖ nicht gelten lässt. Kunasek: "Natürlich wird es bei einem Kopftuchverbot weiterhin möglich sein, eine Kette mit einem Kreuz zu tragen."

Mein Tipp zur Causa: Das Kopftuchverbot wird kommen und abermals gekippt werden, spätestens vom EuGh in Luxemburg. Ob das Blau-Türkis groß kratzen wird? Ich erwarte eine Publicity-trächtige "Mir-san-mir"-Reaktion, wenn – um das blaue Wording aufzunehmen – "die EU nach Österreich hineinreden will".

Deutsch only Womit wir bei den "bösen Ausländern" wären – und damit beim blauen Kernthema. Beginnen wir mit der Sprache. Da gilt für die FPÖ Deutsch vor Deutsch vor Deutsch. In Oberösterreich übrigens Oberösterreichisch vor Deutsch vor Deutsch: Auf 6.000 Deutschkurs-Plätzen für Asylwerber wird – kein Witz! – künftig auch Dialekt vermittelt werden.

Nix Muttersprache Deutsch vor Deutsch bzw. Oberösterreichisch ist freilich ganz und gar nicht in Einklang mit den Erkenntnissen der Sprachwissenschaft. In der Wiener Bildungsdirektion z. B. beruft man sich auf eben diese, wenn betont wird, dass man auch die Herkunftssprachen der Kinder wertschätzen und fördern müsse.

Junge Teilnehmer einer sogenannten "Radlpirsch" in Tracht in Bad Goisern im Salzkammergut: Asylwerber in OÖ sollen künftig auch oberösterreichische Mundart gelehrt bekommen
Junge Teilnehmer einer sogenannten "Radlpirsch" in Tracht in Bad Goisern im Salzkammergut: Asylwerber in OÖ sollen künftig auch oberösterreichische Mundart gelehrt bekommen
Walter Pernkopf / picturedesk.com

Alphabetisierung und Orientierung in der Muttersprache seien Voraussetzung für das Erlernen von Deutsch. Deshalb werde an 200 Wiener Schulen ein Erstsprachenunterricht in 24 Sprachen angeboten, was aktuell 18.000 Schüler betreffe.

Mein Tipp: Damit wird Blau aufzuräumen versuchen. Und noch eins draufsetzen.

Sonderschule für Deutsch-Muffel So heißt es im blauen Bildungsprogramm unter der neutralen Überschrift "Beseitigung von Sprachproblemen": "Schüler, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, sollen in speziellen Deutschkursen unterrichtet werden, bis sie das erforderliche Sprachniveau erreichen. Sollte es keinen Fortschritt geben oder die Sprachkenntnisse nach zwei Jahren weiter nicht ausreichen, sollten sie in speziellen Bildungseinrichtungen mit angepasstem Lehrplan unterrichtet werden."

Mein Kommentar dazu: "Spezielle Bildungseinrichtungen", "angepasster Lehrplan" – das ist nichts anderes als eine Art "Sonderschule" für Deutsch-Lernverweigerer.

In Großbritannien sind Schuluniform verbreitet: Auch weite Teile der FPÖ befürworten einheitliche Kleidungsvorschriften für Kinder in Österreich
In Großbritannien sind Schuluniform verbreitet: Auch weite Teile der FPÖ befürworten einheitliche Kleidungsvorschriften für Kinder in Österreich
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Renaissance der Sonderschule Und weil wir schon dabei sind. Auch "Inklusion" ist für die FPÖ keine Kategorie. Ich gehe davon aus, dass es mit Blau ein Zurück zur klassischen Sonderschule geben wird. Statt dass der irrational tief gesetzte Budget-Deckel für Schüler mit pädagogischem Sonderbedarf (SPF) endlich abgenommen wird, um mehr integrativen Unterricht für Schüler mit Problemen zu finanzieren – international längst Usus – , wird es bei uns wohl wieder die Drei-Klassen-Schule geben: Gymnasium für die First Class, Mittelschule für Economy und die Sonderschule – und das sage ich bewusst in aller blauen Härte – für "Psychos, Behinderte und Idioten".

Deutsch vor der Schule Zurück zum Sprache-Lernen und damit zum Kindergarten. Nun ist zwar nicht davon auszugehen, dass es sich ausgerechnet ein blauer Bildungsminister antun würde, den Kindergarten mit seinen österreichweit 7.500 Einrichtungen in seine Zuständigkeit zu übernehmen. Aber Blau könnte über die Bildungsdirektionen und deren Rechtsabteilungen sehr wohl die Voraussetzungen für einen Deutsch-Lern-Turbo bereits VOR Schuleintritt schaffen.

Statt integrativ mehr separat Damit würde man bei Lehrern und Elementarpädagoginnen jedenfalls punkten. Wären Rot und Pink noch für eine Abschaffung der unter Türkis eingeführten Deutschförderklassen zugunsten einer integrativeren Lösung eingetreten – derzeit verbringen die Schüler nur wenige Wochenstunden in ihrer Stammklasse –, könnte Blau nun die ganz "separate" Deutsch-Lern- / Wertevermittlungs-Klasse einführen. Verortet zwar in Schulgebäuden und Kindergärten, aber außerhalb des regulären Schulunterrichts. Vorteil: Dafür bräuchte man kein Personal mit kompletten Lehramts-Studien …

Ein weiterer Kandidat für den Posten des Bildungsministers: der Wiener Landtagsabgeordnete Maximilian Krauss
Ein weiterer Kandidat für den Posten des Bildungsministers: der Wiener Landtagsabgeordnete Maximilian Krauss
Michael Indra / SEPA.Media / picturedesk.com

Bildungspflicht statt Schulpflicht Überhaupt hat es die FPÖ nicht so mit Lehrämtern, Lehrplänen und Schulpflicht. Bildungssprecher Hermann Brückl in einem Interview für die OÖ-Nachrichten: "Wir wollen eine Bildungspflicht statt einer Schulpflicht, indem wir, statt Lehrpläne abzuarbeiten, Bildungsziele vorgeben, die auch erreicht werden müssen, bevor ein Kind die Schullaufbahn verlässt."

Dafür würde er die Lehrpläne kübeln und einen "Bildungs-Pass" einführen, auf welchem vermerkt wird, was ein Kind "kann" oder eben (noch) nicht kann. Und: Für's Nicht-Erreichen von Bildungs-Zielen gäbe es Konsequenzen.

Nicht genügend. Setzen. Sitzenbleiben. Die als "Kuschelpädagogik" verunglimpfte liberale Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte wird unter Blau eine Pause machen. Schulnoten ab der 1. Klasse sind ebenso "State of blue Art" wie der lockere Umgang mit "Nicht genügend" sowie das Sitzenbleiben.

Dieses, also das Sitzenbleiben, wäre wieder Mittel erster Wahl, wenn die oben genannten "Bildungsziele" bei den "vorgesehenen natürlichen Übergängen" – gemeint vom Kindergarten in die Primarstufe, von der Primarstufe in die Sekundarstufe 1, von der Sekundarstufe 1 in die Sekundarstufe 2 – nicht erreicht würden.

Noch-Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) in der Volksschule Stubenbastei in Wien
Noch-Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) in der Volksschule Stubenbastei in Wien
Helmut Graf

Der 15-Jährige in der 1c Was die Blauen nicht dazu sagen: Damit würde sich das Problem der Überaltrigkeit in den jeweils 1. Klassen massiv verstärken. Um es zugespitzt zu veranschaulichen: Die bereits 8-jährige "Verhaltensoriginelle", die schon im Kindergarten alle "terrorisiert" hat, säße als Taferlklasslerin in der Volksschule. Der bereits 15-jährige Lernverweigerer, dem man schon in der Volksschule das Messer abnehmen musste, wäre in der 1. Klasse Mittelschule (AHS wohl eher nicht) … Das wird den Eltern aller anderen, altersgemäß in der Klasse sitzenden Kinder nicht sehr gefallen …

Schul-Security und Entledigung Gegen die zunehmende Gewalt in den Schulen (in Zahlen zwar kaum evident, aber gesellschaftlich so empfunden) setzt Blau auf, nennen wir es "behördliche Gegengewalt": Ein paar Sätze von Hermann Brückl, von der FPÖ-Homepage genommen: "Für die FPÖ sind Securities in Schulen eine gewaltpräventive und abschreckende Maßnahme, die schnell umzusetzen ist, jedoch muss der massive Gewaltanstieg an den Bildungseinrichtungen ihrem Grund nach angegangen werden. (…) Wir müssen uns der gewalttätigen Schüler entledigen!"

Geldstrafen für Eltern Weiters müssten "die Eltern in die Pflicht genommen werden. Es braucht Geldstrafen für Eltern, wenn sie ihre Erziehungspflichten verletzen oder gar noch ihre gewalttätigen Kinder in ihrer Meinung stärken."

Wenn nötig vor Gericht "Und auch die Herabsetzung der Strafmündigkeit spielt hier eine große Rolle. Denn wer als 13-Jähriger einem gleichaltrigen Mitschüler täglich den Kopf in die Klomuschel stecken und würgen kann, der muss sich auch dafür verantworten müssen!"

Mein Kommentar: eh.

Fortschritt oder Rückschritt? Alles andere als die Ausweitung des Handyverbots in Volks-, Mittelschulen und Unterstufen der AHS auf das ganze Land durch die FPÖ wäre eine Überraschung
Fortschritt oder Rückschritt? Alles andere als die Ausweitung des Handyverbots in Volks-, Mittelschulen und Unterstufen der AHS auf das ganze Land durch die FPÖ wäre eine Überraschung
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Mann, Frau, Handy Bleiben zwei andere blaue Dauerthemen, die auch in den Schulen ankommen werden: das Rollenverständnis von Mann und Frau, bei dem Feminismus als Bedrohung wahrgenommen wird – aufgehängt am Gendern. Und der reflexartige Widerstand gegen die digitale Welt, für Blau mehr Bedrohung als Gewinn – aufgehängt am Handyverbot.

Gendern - nein danke! Der blaue Bildungssprecher Brückl unmissverständlich im Standard-Interview: "Es geht darum, dass wir unsere Sprache, entschuldigen Sie den Ausdruck, verhunzen. Wir verlernen unseren Kindern ja das Lesen und Schreiben. Diese Bücher oder Artikel, in denen gegendert wird, kann man ja oft gar nicht mehr lesen. Das ist nicht notwendig. Ich glaube nicht, dass die Wertschätzung, die ich als Mann einer Frau entgegenbringe, durch einen Doppelpunkt, ein großes I, ein Sternchen oder sonst irgendein Haxerl zum Ausdruck kommt. Das brauche ich nicht."

Mein Kommentar: Kommentar (leider) überflüssig …

Handyverbot – ja bitte! Der ehemalige türkise Bildungslandesrat Werner Amon hat es für die Steiermark prüfen lassen, Blau-Schwarz will es für die Steiermark jetzt einführen. Bereits ab Februar soll den Schulen ein Regelwerk in die Hand gegeben werden, das im gesamten Bundesland gilt. Meine Prognose: Alles andere als die Ausweitung des Handyverbots in Volks-, Mittelschulen und Unterstufen der AHS auf das ganze Land wäre eine Überraschung.

Könnte ein Comeback feiern: das von Hand geschriebene Zeugnis – die FPÖ will den Lehrern die Verpflichtung zur Digital-Arbeit abnehmen
Könnte ein Comeback feiern: das von Hand geschriebene Zeugnis – die FPÖ will den Lehrern die Verpflichtung zur Digital-Arbeit abnehmen
Karl Schöndorfer / picturedesk.com

Und Zeugnisse wieder per Hand Unter Minister Martin Polaschek war der Login in Datenschutz-sensible Schulverwaltungs-Software mit der Verpflichtung zum Einstieg aller österreichischen Lehrer in die ID Austria verknüpft und für kommenden März fixiert worden.

Jetzt die FPÖ: "Es ist für uns Freiheitliche völlig inakzeptabel, dass ab März 2025 eine ganze Berufsgruppe dazu genötigt wird, die digitale Identität zu nutzen." Was das heruntergebrochen auf einen uns allen bekannte Formalakt bedeutet: Die Zeugnisse würden wieder mit der Hand geschrieben statt digital in den Schulverwaltungsprogrammen erstellt werden. Kein Drama. Und vielleicht sogar einfacher.

Nur halt ein weiterer Salto rückwärts.

* Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mit gemeint

Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010

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