Wie es die Regierung schaffte, mit ihrer Pensions-Entscheidung alle zu vergrämen. Warum der Vizekanzler besser unseren Mietmarkt studieren sollte und nicht den in New York. Und wieso andere Armeen Ärger mit Drohnen haben, unser Bundesheer mit Haarschnitten.
Die vergangene Woche war von einigen bedeutsamen Reisebewegungen geprägt. Der Kanzler holte seinen Sommerurlaub nach und verfügte sich für fünf Tage nach Zypern. Der Vizekanzler flog nach New York, "um sich über bau- und wohnpolitische Initiativen in den USA zu informieren und auszutauschen", wie sein Ministerium mitteilte.
Wer in Österreich – und vorrangig in Wien – derzeit eine Wohnung sucht, hätte Andreas Babler vielleicht eine andere Vorgangsweise ans Herz gelegt. Also nicht eingehend die "bau- und wohnpolitischen Initiativen in den USA" zu studieren, sondern sich in den heimischen Mietmarkt zu vertiefen. Was Passendes zu finden, ist inzwischen nämlich ein ziemlicher Broadway, a brader Weg also.
Ich bin mir aber sowieso nicht sicher, ob den derzeit amtshandelnden Politikern bewusst ist, was in tatsächlich existenziellen Bereichen des täglichen Lebens aktuell vor sich geht. Wenn doch, dann tun sie leidlich wenig dafür, die Zustände zu beenden.
Elch Emil ist das egal, er meidet Supermärkte und wohnt nicht zur Miete. Aktuell erwandert er den Westen Niederösterreichs, durchaus zur Freude der indigenen Bevölkerung. Man muss sagen: So wohlwollend und zuvorkommend wie der Paarhufer wurde in Österreich noch nie ein Ausländer aufgenommen. Vor allem nicht, wenn er zuvor irregulär die Grenze überschritten hatte.
Ehe uns Emil vielleicht irgendwann den Rücken kehrt, will er offenbar Land und Leute besser kennenlernen. Anders als der Vizekanzler erkundete er zu diesem Behufe nicht "bau- und wohnpolitische Initiativen", sondern prüfte die Belastbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs. Er legte sich also bei St. Pölten neben die Gleise und wartete, was passiert.
In Österreich passiert in einem solchen Fall immer viel und wenig gleichzeitig.
Für ein paar Stunden kam der Zugverkehr zum Erliegen. Gestrandete Passagiere bekamen das in den Waggons zweisprachig mitgeteilt, dabei wurde der Schuldige namentlich an den Pranger gestellt. "The reason for the delay is a lose lose elk named Emil".
Der "lose lose elk" lag zu diesem Zeitpunkt immer noch in Schlagweite der Schienen, das offizielle Österreich mühte sich abseits davon mit der Frage ab, in welchen Zuständigkeitsbereich ein dösender Elch auf öffentlichem Grund fällt. Historisch gesehen gab es den Fall bisher recht selten.
Der ORF bekam Einblick in das Einsatzprotokoll. Aus der Lektüre lässt sich ableiten, dass Österreich kein Raktenabwehrsystem benötigt, sondern eher irgendein Gerät, dass uns die Bürokratie entwirrt. Das könnten wir natürlich selber entwickeln, aber wer ist dafür zuständig?
Im Falle von Emil wäre das eventuell die Amtstierärztin gewesen, aber sie war nicht erreichbar. Die Polizei fühlte sich nicht befugt, weil der Elch auf einem Grund der ÖBB lag. Die Bundesbahn winkte ebenfalls ab. Sie sieht ihre Aufgabe eher darin, Menschen von A nach B zu befördern und nicht Tiere ins Jenseits.
Die Feuerwehr gab an, nur einschreiten zu können, wenn eine Gefahr für Personen oder das Tier bestehen sollte, das aber gab Emil nicht her. Wenn die Amtstierärztin erreichbar gewesen wäre, hätte sie ebenfalls nichts tun können, weil sie einen Auftrag einer Behörde oder der Polizei gebraucht hätte. Die aber waren ja nicht zuständig.
Wie bei einem Theaterstück, in dem der Autor den Faden verloren hat, tauchten dann plötzlich um 23 Uhr drei Jäger auf. Es ist nicht ganz klar, wer sie gerufen hatte und mit welchen Versprechungen, aber auch ihnen waren die Hände gebunden.
Im Protokoll sollte später stehen, dass die Waidmänner den "lose lose elk" nicht über den eigenen Haufen schießen konnten. Ihnen sei nur übriggeblieben "dem Elch beim Schlafen zusehen".
Nachdem Emil den Spaß an der Freud verloren hatte und endlich weitergezogen war, begann der Kompetenz-Urwald erst so richtig zu sprießen. Bezirkshauptmannschaft, Magistrat, Landesveterinärdirektion, Jagdverband, alle hielten den jeweils anderen für verantwortlich. An die Bevölkerung wurde damit ein verheerendes Signal ausgesandt: Wir sind für einen zweiten Emil nicht gerüstet.
Da hat es das Bundesheer etwas leichter. Da können lediglich Pferdeschwänze einen Rattenschwanz nach sich ziehen.
Grundsätzlich tragen nur zwei Arten von Individuen Pferdeschwänze. Pferde natürlich. Und Menschen. Das Bundesheer hat beide Varianten im Bestand, aber lediglich eine Gattung macht momentan Probleme. Wenn Sie jetzt nicht weiterlesen möchten, kürze ich ab: es sind nicht die Pferde.
Der 14. September 2023 war für das heimische Heereswesen ein einschneidender Tag. Andere Länder mögen in der jüngeren Vergangenheit Probleme mit Invasoren oder deren Drohnen gehabt haben, im neutralen Österreich wird der Wehrwille auf andere Art ausgetestet.
Am nämlichen Donnerstag erlebte eine Vorarlberger Kaserne eine Art körperhygienischen D-Day. Das Bundesverwaltungsgericht beschrieb das Ereignis später so: "Der DB ließ sich die Haare so lang wachsen, dass sie spätestens am 14. 09. 2023 bei aufrechter Körperhaltung den Uniform- und Hemdkragen berührten, weshalb der DB die Haare am Hinterkopf zu einem "Pferdeschwanz" zusammenband."
"DB" steht übrigens nicht für Deutsche Bahn oder Dezibel, sondern für Disziplinarbeschuldigter und das war der Oberstleutnant zu diesem Zeitpunkt mit Haut und Haaren.
In Österreich gelten seit Menschengedenken beim Bundesheer Vorschriften, wie man seine Haare zu tragen hat. Oder eben nicht. 2017 wurden die Vorgaben präzisiert. Am 18. Dezember ging Hans Peter Doskozil als Verteidigungsminister ab, zeitgleich trat in seinem Ministerium der Erlass GZ S93105/19-MFW/2017 in Kraft. Er regelte das, was in dem Dokument mit "Haartracht" umschrieben wurde.
Seit 1. April 1998 können auch Frauen auf freiwilliger Basis militärischen Dienst leisten. Man muss nicht von einem Massenansturm sprechen, aber die neuen Zeiten erforderten Anpassungen und die wurden mit Erlass GZ S93105/19-MFW/2017 vollzogen.
"Die Haartracht von Soldatinnen darf die Augen nicht bedecken" steht darin. "Haare, die bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung die Schulter berühren würden, sind am Hinterkopf gezopft, mit einem Band zusammengehalten (Pferdeschwanz) oder hochgesteckt zu tragen. Dabei sind Form und Farbe der Haarspangen/Bänder dezent zu halten."
Männern wurden Schwänze nicht gestattet. Sie dürfen "modische Frisuren" tragen, "sofern sie nicht in Schnitt und Form besonders auffällig sind. Haarfärbungen/Tönungen, zu denen auch einzelne Haarpartien (z.B. Strähnen) zählen, dürfen nur dem Spektrum der natürlichen Haarfarben entsprechen."
Der Oberstleutnant empfand das als ungerecht und startete die "Operation Rapunzel". Die heißt natürlich nicht so, ich finde das aber schade, denn man sollte die Dinge beim Namen nennen.
Derartige Angelegenheiten können nämlich ziemlich verzopft sein. Vor einigen Jahren lehnte es ein Rekrut ab, am Samstag den Rasen in einer Kaserne zu mähen, am Ende rasierte ihn das Gericht dafür. Denn das Militärgesetz legt für Befehlsverweigerungen fest: "Wer trotz Abmahnung im Ungehorsam verharrt, ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen."
So weit war man am 14. September 2023 noch nicht. Da forderte der DV, also der Dienstvorgesetzte, den DB auf, "seinen Haarschnitt erlasskonform herzustellen". Worauf der DB dem DV mitteilte, "dass er der Meinung sei, gegenüber weiblichen Soldaten, die eine derartige Frisur tragen dürften, diskriminiert zu werden."
Es entstand ein Patt. "Der Vorgesetzte wiederholte seinen Befehl nicht, der DB änderte seine Frisur nicht."
Trotzdem kam in "Operation Rapunzel" rasch Bewegung, denn schon am 19. September 2023 richtete der Oberstleutnant ein Schreiben an seinen Dienstgeber. Er fühle sich nicht mehr an den Erlass gebunden und werde weiterhin "seine Haare länger als vorgegeben" tragen. Er sei sich der Pflichtverletzung bewusst und ersuche um "die Einleitung eines Senatsverfahrens".
Das Verfahren vor der Bundesdisziplinarbehörde endete mit einem Sieg und einer Niederlage, wie es halt oft so ist im Leben. Für die Pflichtverletzung bekam der Oberleutnant eine Strafe von 3.000 Euro zuzüglich 300 Euro für das Verfahren aufgebrummt. Vom Vorwurf, einen Befehl missachtet zu haben, wurde er aber freigesprochen.
Beide Seiten gingen dagegen vor. Das Ministerium wollte den Freispruch weghaben und eine höhere Geldstrafe, nämlich 4.300 Euro.
Der Oberstleutnant forderte hingegen einen kompletten Freispruch. Schließlich habe die Gleichbehandlungskommission des Bundes am 25. Juli 2023 entschieden, dass der Erlass zur „Haartracht“ eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes darstelle. Außerdem dürften uniformierte Beamte der Polizeidirektion Wien schon längst Zopf tragen.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) blitzte der Oberstleutnant ab. Der Spruch der Gleichbehandlungskommission sei mit dem gegenständlichen Fall nicht vergleichbar, urteilte die Richterin, damals sei es um einen "Longbob mit Sidecut“ gegangen. Immerhin: die Strafe wurde auf 2.200 Euro reduziert.
In den nächsten Wochen wird sich nun der Verfassungsgerichtshof mit dem Pferdeschwanz beschäftigen. Nebenbei auch mit der Frage, ob Befehlen beim Heer ein selektiver Charakter zukommt, man also frei wählen kann, welche man befolgt und welche nicht. Das könnte im Einsatzfall eine Rolle spielen.
Wenn das Grundsatzurteil aber dann einmal gefällt ist, können wir uns wieder Russland zuwenden.
Weil der Kanzler auf Zypern war und der Vizekanzler in Manhatten, musste der Rest der Regierung allein mit der Situation fertig werden. Am Ende stand die Nation vor einem Zustand, der sich als "Wunschloses Unglück" beschreiben lässt, wenn auch die Umstände anders waren als in der Erzählung von Peter Handke. Gemeint ist nicht der Verkehrsminister, sondern der andere Dichter.
Nach dem Ende von Verhandlungen ist es oft so, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Seltener kommt es allerdings vor, dass alle Beteiligten mit dem Ergebnis unglücklich sind. Bei der Pensionserhöhung für 2026 wurde das aber geschafft.
Es begann damit, dass der Kanzler im ORF-Sommergespräch ohne Not den Wunsch verkündete, die Pensionen mögen nicht um das gesetzlich gebotene Maß von 2,7 Prozent angehoben werden, sondern nur um 2 Prozent. Erst am Tag danach fiel ihm ein, dass man das Vorhaben sozial staffeln könnte.
Strategisch war das ein Mumpitz. Kein Gewerkschafter würde jemals in eine Verhandlung gehen und vorher ein Wunschresultat kommunizieren. Weicht das tatsächliche Ergebnis nämlich von dem Wunschergebnis ab, was es in der Regel tut, steht man in jedem Fall als Verlierer da.
Christian Stocker erreichte nicht seine angestrebten 2,0 Prozent, sondern im Schnitt 2,25 Prozent. Menschen mit Pensionen bis zu 2.500 Euro erhalten die volle Inflationsabgeltung, Betroffene darüber pauschal 67,50 Euro mehr. Das machte nun alle zu Verlierern.
Die Bezieher von kleinen Pensionen sind Verlierer, weil sie jetzt wissen: Wenn es hart auf hart kommt, wirft mich der Kanzler finanziell vor den Bus.
Die Bezieher von höheren Pensionen sind auch Verlierer, weil sie wissen: Sie werden gleich vor den Bus geworfen, denn sie erhalten weniger als ihnen gesetzlich zustünde.
Die Bezieher von kleinen Pensionen erhalten in Prozent mehr als die Bezieher von höheren Pensionen. Im Börserl aber finden sie weniger. Verlierer! Wer 1.000 Euro Pension hat, erhält im Jahr 378 Euro brutto mehr. Wer 5.000 Euro Pension hat, bekommt aber 945 Euro dazu.
Die Bezieher der höheren Pension können darüber ebenfalls nicht glücklich sein, denn bei der vollen Inflationsabgeltung hätten sie 1.890 Euro im Jahr zusätzlich erhalten. Sie fallen also um 945 Euro um und das holen sie im Leben nie mehr auf. Verlierer!
Bezieher höherer Pensionen haben im Laufe ihres Arbeitslebens mehr ins System eingezahlt. Pensionszahlungen sind keine Almosen, sondern eine Versicherungsleistung. Das verfestigt das Bild: lauter Loser.
Die Pensionisten hat es aber nicht annähernd so brutal getroffen wie Andreas Babler in der Miethölle New York. Der Vizekanzler war eigentlich über den Teich gehüpft, um sich "bau- und wohnpolitisch" inspirieren zu lassen, aber das Gegenteil geschah.
Babler ließ uns auf Instagram an seinem Schicksal teilhaben. "Vernachlässigte Gebäude. Schlechte Wasserqualität. Großer Leerstand. Und daneben Luxuswohnungen für 7.500 Dollar pro Monat. Das ist die Realität in New York."
Schuldige hat er auch schon ausgemacht. Das Desaster sei Folge eine Wohnungspolitik, "die Profit und Spekulation über Menschen stellt. Wenn wir nicht gegensteuern, könnten wir uns in zehn Jahren in einer ähnlichen Lage wiederfinden.", schreibt Babler und empfiehlt sich als Gegensteuermann. Er stehe "für eine Politik, die eingreift."
Vor allem junge Menschen, die in Wien derzeit Wohnung suchen, merken noch wenig von einer "Politik, die eingreift". Sie erleben eher einen Markt am Rande des Wahnsinns. Die meisten haben Suchagenten auf Willhaben.at eingestellt und werden in Echtzeit über neue, freie Wohnungen informiert.
Das schaut dann so aus: Viele Inserate sind nach spätestens fünf Minuten nicht mehr auffindbar, weil gelöscht. Es haben sich schon unbewältigbar viele Bewerber gemeldet.
"Wo wir früher drei oder vier Interessenten hatten, sind es nun über 100 am Tag", sagen Makler. Einige sind dazu übergegangen, so um die 16 Personen auszuwählen, die anderen werden gar nicht mehr zur Besichtigung eingeladen. Wer Chancen haben will, sollte noch während des Termins in der Wohnung vom Handy aus ein Mietangebot abgeben.
Wir reden hier von Wien, nicht von New York und von Wohnung in halbwegs gute Lagen um die 50 Quadratmeter, die über 1.000 Euro kosten.
Das hat Gründe. In Wien gab es in den vergangenen Jahren 40 Prozent weniger Bauanträge, erzählt mir ein Architekt. Seit 2015 kamen über 230.000 Einwohner hinzu. Kredite sind immer schwerer zu bekommen, Eigentum ist nicht mehr leistbar. Die Leider-Nein-Käufer drängen zusätzlich auf den Mietmarkt. Der ist am Kollaps.
Da kann sich Andreas Babler noch so oft in New York gegen eine Straßenlaterne lehnen. Oder die Straßenlaterne gegen ihn.
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Bis in einer kleinen Weile.