Der neue Roman von Literatur-Punk T.C. Boyle dreht sich um eine toxische Dreiecks-Beziehung. Das Buch des Amerikaners erschien erstmals zuerst auf Deutsch. Angela Szivatz hat es gelesen und Boyle bei einem Auftritt im Wiener Konzerthaus beobachtet.

Der Große Saal im Wiener Konzerthaus ist restlos ausverkauft, obwohl es an diesem Abend keine Musik gibt. Außer man sieht Buchstaben als Noten an, dann ändert sich die Sachlage.
T.C. Boyle gelingt es spielend, das Publikum auch ohne Musik für sich einzunehmen. Es ist der 19. November 2025 und der Romancier startet hier die Welt-Lesetour zu seinem neuen Buch "No Way Home".
Wien wurde mit Bedacht gewählt. T.C. Boyle liebt die Stadt, er ist gerne und oft hier, sein Instagram-Account belegt das. Im Jahr 2013 wurde sein Roman "America" (Originaltitel: "The Tortilla Curtain") im Rahmen der Aktion "Eine Stadt ein Buch" kostenlos an die Wiener Bevölkerung verteilt.
Sein neues Buch "No way home" erschien zum ersten Mal zuerst auf Deutsch. Die englische Version kommt im Mai 2026 raus, verlegt ebenfalls vom deutschen Hanser Verlag. Das muss man zu Roman und Autor wissen:
Premiere auf Deutsch, ist das ein Novum?
Jep! Und noch ein weiteres gab es, von ganz anderer Art.

Nämlich?
Bei seinem umjubelten Auftritt in Wien trat Boyle zum ersten Mal ohne knallrote Convers Sportschuhe auf, die bisher eines seiner Markenzeichen waren. Er wäre jetzt ein alter Mann, da geben ihm die Stoffschuhe nicht mehr genug Halt, sagte er. Basketball spiele er jetzt in den Arbeits-Pausen auch nicht mehr.
Wird der Autoren-Punk jetzt konventionell?
Kaum, Boyle ist immer noch der Punk, der er war. Geistreich, witzig und schlagfertig zieht er das Publikum in seinen Bann. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Offen spricht er darüber, dass er als junger Mann heftig mit Drogen und Alkohol experimentierte. Doch seit er sich vor Jahrzehnten entschied, das mit dem Autorsein ernst zu nehmen, schreibt er nur noch nüchtern.
Gibt ihm der Erfolg recht?
Kann man so sagen! Schon sein erster Roman "Wassermusik" (1982) wurde zu einem großen Erfolg. Insgesamt erschienen bisher 21 Romane und etliche Sammelbände mit Kurzgeschichten. Bereits 1988 erhielt Boyle den angesehenen PEN/Faulkner Award für seinen Roman "Worlds End", danach im Abstand von höchstens zwei Jahren weitere Preise.
Wofür steht T.C.?
Boyle wurde 1946 geboren, sein voller Name lautet Thomas John Boyle.
Wo kommt dann das "C" her?
Mit 17 wählte Boyle den irischen Name Coraghessan als Zweitnamen und kürzt sich seither mit T.C. ab.

Hat er Schreiben gelernt?
Jein! Boyle studierte Englisch und Geschichte, danach Creative Writing und promovierte in englischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Einer seiner Mentoren wurde John Irving („Garp und wie er die Welt sah“). Seit 1978 lehrt Boyle Englisch an der University of Southern California, seit 1986 als ordentlicher Professor.
Wo lebt der Autor?
Durch den Verkauf der Filmrechte von "The Road to Wellville" ("Willkommen in Wellville", 1993) konnte sich T.C. Boyle den Erwerb und die Restaurierung einer historisch bedeutsamen Villa im kalifornischen Montecito in Santa Barbara leisten. Das Haus wurde vom Stararchitekten Frank Lloyd Wright erbaut.
Wohnt Boyle noch heute da?
Ja, mit Familie. Er ist seit 1974 mit Karen Kvashay verheiratet, sie haben drei Kinder (Kerrie, Milo und Spencer). Seine Frau unterstützt ihn bei der Recherche.
Worum geht es in "No Way Home"?
Das Buch erzählt aus drei Perspektiven eine fatale Dreiecksgeschichte zwischen Terrence oder Terry, etwa 30, Assistenzarzt im dritten Jahr in L.A. und ständig überarbeitet, und seiner 25-jährigen Zufallsbekanntschaft Bethany, die halbtags an einer Krankenhausrezeption in Boulder City jobbt. Der dritte im Debakel ist ihr Exfreund Jesse, Junior Highschool Lehrer und ein sadistischer, gestörter Motorrad-Rowdy.
Wie geht die Dreiecksgeschichte los?
Terrys Mutter stirbt überraschend und hinterlässt ihm ein Haus in Boulder City. Die Kleinstadt liegt in Nevada, am Rand des künstlichen Lake Mead, der in den 1930er Jahren am Hoover-Staudamm angelegt worden war, und am Rand der Wüste. Als Terry nach dem Haus sieht, erbt er nicht nur den Hund seiner Mutter, er hat auch eine schicksalsträchtige Begegnung mit der wunderschönen Bethany.
Was sucht Bethany in ihm?
Eigentlich will sie alles: Leben, ohne Miete zu bezahlen. Sich von den Männern ihre täglichen Margaritas und das Essen bezahlen lassen. Da wäre Terry als künftiger Facharzt doch ein guter Fang. Sie geht mit ihm ins Bett.
Bleibt das ohne Konsequenz?
Nicht wirklich. Am nächsten Morgen spricht sie davon, im Moment gerade "wohnungsmäßig herausgefordert zu sein", weil ihr Ex ihr alles weggenommen hätte. Sie könnte Haus und Hund für Terry hüten, bis er das Haus verkauft hat. Obwohl Terry das ablehnt, zieht sie heimlich dort ein und behauptet, seine Verlobte zu sein.
Wie reagiert ihr Ex-Freund darauf?
Jesse kann Bethany nicht vergessen kann und will nicht loslassen. Er markiert umgehend sein Terrain. Als Terry, der weiterhin im vier Stunden entfernten L.A. arbeitet, nach ein paar Wochen wieder auftaucht und offensichtlich eine Beziehung mit Bethany eingeht, setzt Jesse eine unaufhaltsame Gewaltspirale in Gang.
Heißt was?
Auf einem einsamen Wanderweg stößt er Terry mit seinem Motorrad über den Wegrand und lässt den Verletzten liegen.
Überlebt er?
Ja, sonst würde das Buch schnell zu Ende gehen. Er wird schwer verletzt und halbverdurstet am nächsten Tag gefunden. Dann rettet er sich selbst.
Wie?
Zwischen Ohnmachten erklärt er den Sanitätern, dass man ihn nicht bewegen darf. Seine ärztliche Selbsteinschätzung stellt sich als richtig heraus. Sein Rückenmark wurde schwer gequetscht, er fühlt seine Beine nicht mehr. Ob er je wieder wird gehen können, ist fraglich.
Wer kümmert sich um ihn?
Die ersten Wochen im Krankenhaus seine Tante Julie. Bethany ist keine große Hilfe. Ihr gruselt vor der Vorstellung, den Rest ihres Lebens einen Mann mit Windeln und ohne Sexualität versorgen zu müssen.
Erstattet er Anzeige gegen Jesse?
Ja, doch das führt aber zu nichts.
Erholt sich Terry wieder?
Mühsam, aber ja. Er wird mit Krücken und im Rollstuhl nach Hause entlassen. Von da an geht es wild zu.
Weil?
Bethany hatte Sex mit Jess, bevor Terry heimkam. Nun schafft sie es, dank ihrer körperlichen Präsenz, Eloquenz und einer unfassbaren Dreistigkeit, Terry immer wieder hinzuhalten, ihn anzulügen und an sich zu binden.
Und Jess?
Sie glaubt ihm seine Märchen, selbst als er sie in den Nächten stalkt, sie zum Sex nötigt, die Hündin Daisy beinahe totschlägt, danach Terry anzeigt, weil sein Hund ihn gebissen hat.
Was arbeitet Boyle da heraus?
Er schildert sehr prägnant, wie selten Gewalttäter aus dem nahen Umfeld zur Rechenschaft gezogen werden. Was noch passiert, wird an dieser Stelle nicht verraten.
Was ist die zweite Ebene?
"No Way Home" beschreibt den Kultur-Bruch zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Wo überall rechte Radiosender laufen und sich viele Anhänger der "Make America Great Again"–Bewegung von Trump finden. Das Macho-Dasein treibt sein Unwesen und Frauen wollen vor allem geheiratet werden.
Was sagt der Autor über sein Schreiben?
"Ich weiß am Anfang nicht, wohin mich eine Geschichte führt." Das mache es interessant, auch wenn er natürlich schon sehr viel Erfahrung mit dem Erzählen habe.

Wie arbeitet er?
Immer mit Musik, wie er erzählt, um eine Art unbewussten Zustand zu erreichen. "Ich schreibe, habe Ideen, gebe eine Sicht auf die Welt und mache daraus eine Geschichte."
Wo steht Boyle gesellschaftlich?
Für Boyle sind die Gefahren des Klimawandels ein wichtiges Thema, er greift es seit mehr als 30 Jahren immer wieder in seinen Büchern auf. Die großen Brände im Raum L.A. im Jänner 2025 ließen auch ihn um sein Haus bangen. Drei Wochen lang.
Wie ist seine politische Haltung?
Boyle nützt vor allem seine Leseauftritte und Interviews, um politische Statements zu transportieren, so auch in Wien. "Ich will an die Hoffnung glauben, dass 2026 ein Wunder passiert. Dass die Republikaner sehr schlecht abschneiden bei den Midterm-Elections und Trump einfach 'verschwindet.´"
Was denkt Boyle aktuell über die USA?
Trump, so der Autor, habe den Faschismus in die USA gebracht. "Und ich versuche mein Leben so zu führen wie immer – mit meiner Kunst und dem Vergnügen, allein in der Natur zu sein. Trotzdem lebe ich in ständiger Angst vor unserem Regierungssystem – vor allem davor, dass meine Freiheit, zu sagen und zu schreiben, was ich will, eingeschränkt wird."

Was ist seine Interpretation?
"Die ganzen Schreckensszenarien und bösen Scherze, die ich im Laufe der Jahre produziert habe, scheinen sich zu bewahrheiten."
Ist das Buch eine Empfehlung?
"No way home" enthält sprachlich großartige Passagen und Situationsbeschreibungen. An die Vorgänger-Romane reicht es aber nicht heran. Die Figuren und ihr soziales Umfeld wirken klischeehafter beschrieben als in früheren Werken. Das bei ihm sonst zentrale Umweltthema und die aktuellen sozialen Entwicklungen in den USA werden nur gestreift.
Was also?
Wer nach Lesetipps aus T.C. Boyles wunderbarem, vielfältigem Oeuvre sucht, dem seien "Blue Skies", "Das Licht" und "Dr. Sex" wärmstens empfohlen.
"No way home" von T.C. Boyle, Roman, 382 Seiten, 2025 Hanser Verlag, ab € 29,50
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist heuer erschienen.