Im neunten Monat ihrer Existenz agiert die Koalition neu wie die Koalition alt. Vor der Kamera geben sich ÖVP und SPÖ happy-peppi, abseits davon fliegen die Hackeln tief. Die NEOS sind interessierte Zuschauer. Sebastian Kurz war lieber gut essen.
Nicht überall herrscht in Österreich Mangelwirtschaft, an einigen Orten und Stellen leben wir sogar im Überfluss. Aktuell wird das Land etwa von gleich drei Kanzlern gemanagt.
Der tatsächliche Kanzler befindet sich nach einer Rücken-Operation in häuslicher Pflege. Also ist der Vizekanzler momentan der Kanzler. Dazu gibt es aber auch den früheren Kanzler, den sich Österreich sozusagen als eiserne Reserve hält. Wenn auch von eigenen Gnaden.
Die eiserne Reserve war dieser Tage mittagessen. Das allein hätte natürlich schon als Stoff für eine bunte Erzählung gereicht, aber die Angelegenheit bekam durch einen anderen Umstand zusätzlich Gewicht. Mercedes Rühl, Reporterin der Financial Times, flog extra aus der Schweiz ein, um mit Sebastian Kurz in Wien zu lunchen.
Das Ergebnis war eine einseitige, also einseitig lange Dokumentation des Ereignisses im Blatt. Als Illustration diente eine Zeichnung von Kurz und kein Lichtbild, was schade ist, denn die eiserne Reserve aß unter anderem eine Frittatensuppe für 8,90 Euro. Und es gibt kein Lebensmittel, das sich so sehr seinem Verzehr widersetzt, wie der Frittat.
Sebastian Kurz pflügt sich momentan wieder einmal als Analyst durch die mediale Landschaft. Der gewesene Kanzler gibt den ungefragt Gefragten oder gefragten Ungefragten, das ist eine Frage des Blickwinkels. Es ist viel Koketterie dabei im Spiel.
Kurz erklärt der Welt in Interviews ihren eigenen Zustand, ein paar Brotkrumen fallen dabei auch immer für seinen ehemaligen Wirkungskreis Österreich ab. Fast nebenbei dementiert er jedwede Gelüste auf eine Auferstehung als Kanzler. Aber zwischen den Zeilen kommt heraus, dass ein Abendmahl und ein paar Hilferufe seiner Jünger genügen würden und er ist wieder da.
Die Reporterin der Financial Times traf sich mit Kurz im "Stadtwirt" im dritten Bezirk, auch weil das Lokal der Familie eines ehemaligen Assistenten des ehemaligen Kanzlers gehört. Beziehungen können das Leben frisch halten. August Wöginger sieht das aktuell vielleicht etwas differenzierter.
Undifferenziert gefragt: Warum fand dieses Mittagessen eigentlich statt? Hunger kommt natürlich als Motiv in Frage, aber selbst Kurz kann sich das Interesse der Financial Times an ihm und Österreich nur schwer erklären. "Sie kümmern sich darum", mutmaßt er, "weil Sie glauben, die Nazis seien zurück."
Ein bisschen Hitler macht sich immer gut und deshalb zog Mercedes Rühl einen geographischen Bogen. Damit die Welt weiß, wo Kurz als Vorspeise seine Frittatensuppe und sie portugiesische Sardinen mit Rosmarinkartoffeln einnahmen, verortete die Journalistin den "Stadtwirt" so: "Nicht weit von unserem Standort entfernt befindet sich der Heldenplatz, wo Adolf Hitler im März 1938 vor einer jubelnden Menge den Anschluss verkündete".
Man muss dazusagen: Von der Unteren Viaduktgasse bis zum "Hitler-Balkon", das ist schon ein ziemlicher Hatscher.
Kurz wurde schon brutaler in die Mangel genommen als beinahe unterm "Hitler-Balkon". Das Wiener Schnitzel als Hauptspeise (28 Euro) stellte für ihn an diesem Tag eine härtere Herausforderung dar als die Fragen. "Souverän wie eh und je" habe Kurz das Restaurant betreten, beobachtete Mercedes Rühl wohlgefällig, wenig später habe er ihr "lächelnd die Speisekarte" gereicht. Na bitte!
Kurz habe sich "dem Familienleben verschrieben", behauptet die Reporterin, aus dem Instagram-Auftritt der eisernen Reserve lässt sich das nicht gut ableiten. Aber es ist zu erfahren, dass die eiserne Reserve eigentlich nur ein oder zwei Kinder als eigene eiserne Reserve eingeplant hatte, "aber jetzt möchte er fünf und bedauert, nicht früher damit angefangen zu haben". Wenigstens etwas tut ihm leid.
Im restlichen Gespräch patzt sich Kurz mit Reue nicht weiter an, wenn man von der Beurteilung des Intermezzos mit Werner Kogler einmal absieht. "Ich bereue die Koalition mit den Grünen“, sagt er und das sogar "ohne zu zögern", wie Rühl anmerkt.
Seine teils umstrittenen Geschäftspartner aber werden nur anekdotisch abgehandelt, Vorwürfe gegen ihn seien "politisch motiviert", sagt er, mit der "Inseratenaffäre" habe er nichts zu tun. Er sei "zu dem Zeitpunkt nicht Finanzminister gewesen." Es darf angemerkt werden: Zu einem anderen Zeitpunkt auch nicht.
Die Koalition mit der FPÖ bereue er "überhaupt nicht", über Herbert Kickl will er kein böses Wort verlieren. Mit den Freiheitlichen gemeinsam habe man "viel Gutes für das Land getan", benotet sich Kurz selbst. Kühnerweise nennt er dann "Haushaltsdisziplin" als Beleg für sein Wirken.
Am Ende machte die Rechnung 115,90 Euro aus, sie weist eine Besonderheit auf. Für Mineralwasser wurde 20,70 Euro in Rechnung gestellt. Bei einem Flaschenpreis von 7,90 Euro gemäß Speisekarte verputzten der gewesene Kanzler und seine Begleitung rund zweieinhalb Liter. Dabei trank Kurz laut Text Cola light (4,90 Euro).
Das dürfte aufputschend gewirkt haben. "Ich will mich nicht in die Politik einmischen," sagt die eiserne Reserve. "Aber wer sich mit 16 Jahren politisch engagiert, ist gewissermaßen ein politisches Wesen. Ich werde immer jemand mit einer politischen Meinung bleiben." Nicht nur die ÖVP könnte das als Drohung deuten.
Die Volkspartei hat derzeit ohnehin alle Hände voll zu tun, um den Laden am Laufen zu halten. Nun fällt auch noch der Chef aus, also der am Papier. Am Mittwoch wurde Christian Stocker an der Wirbelsäule operiert, der Ischias-Nerv hatte SOS gefunkt.
Der gewöhnlich gut unterrichtete Trend-Kolumnist Josef Votzi geht davon aus, dass der Kanzler mehrere Wochen lang nicht ins Amt zurückkehren wird, sondern von daheim aus mit Handy und Notebook arbeitet, so gut es eben geht.
Dann folgt ein Satz, der Spekulationen antreibt, er wird einem "Kenner des Regierungsgeschäfts" zugeschrieben. "Nach der Rückkehr des Kanzlers in der zweiten Novemberhälfte wird sich zeigen, wie belastbar Christian Stocker wirklich weiterhin sein wird."
Eine gewisse Belastbarkeit wäre aber vonnöten, denn die Regierung ist leichtsinnigerweise mit den Ländern eine "Reformpartnerschaft" eingegangen. Die Republik soll bürokratisch spindeldürr werden, in den Kompetenz-Dschungel will man mit der Kettensäge hineinfahren. Schulen, Gesundheit, Kindergärten, überall wird ausgeholzt.
Bis Ende des nächsten Jahres soll das Vorhaben abgeschlossen sein. Damit der große Wurf gelingen kann, müssen aber schon heuer erste Ergebnisse präsentiert werden. Das erscheint tollkühn, denn der Österreicher an sich legt der Politik und dem Land zwar stets die großen Reformen ans Herz, liebt und lebt aber gleichzeitig die Regionalität.
Das sichtbarste Kennzeichen dafür ist 520 Millimeter mal 120 Millimeter groß und tatsächlich ein Kennzeichen.
Autotafeln emotionalisieren das Land seit Jahrzehnten, man erinnere nur an die Umstellung der Taferln von schwarzem Hintergrund auf weißen Hintergrund 1990. Sogar der Künstler Friedensreich Hundertwasser kämpfte mit einem eigenen Entwurf für die Bewahrung der Identität des Landes, in diesem Fall über den Umweg Stoßstange.
In den vergangenen fünf Jahren nahmen 145.336 Menschen Geld in die Hand, um sich "Pupsi 7" oder "Mausi 9" aufs Auto montieren zu dürfen. Dafür zahlten sie jeweils 200 Euro an den Österreichischen Verkehrssicherheitsfonds, 14 Euro an die Verwaltung, 21 Euro für den Antrag und 23 Euro bei der Abholung der Taferln. 258 Euro also gesamt.
Wie die Sprache gehören Autokennzeichen in Österreich zum höchstpersönlichen Lebensbereich, ein Eindringen wird als übergriffig empfunden. Noch ehe die "Reformpartnerschaft" einen Fuß in die Tür setzte, äußerten acht Gemeinden des früheren Bezirks Fürstenfeld in der vergangenen Woche den Wunsch, ihre alten Nummerntaferln zurückzuerhalten.
Vor zwölf Jahren war der Bezirk Fürstenfeld mit dem Bezirk Hartberg zum Bezirk Hartberg-Fürstenfeld zusammengelegt worden. Auf den Autokennzeichen stand ab da HF, jeder Bezirk durfte einen Buchstaben beisteuern, aber es war eben trotzdem nichts mehr wie vorher.
Das wird sich auch nicht ändern. Das Land Steiermark lehnte das Ansinnen auf eine Rückkehr zu FF ab. Wenn alle so hart bleiben, wird das mit den Spitälern und den Kindergärten ein Klacks.
Ehe die drei Regierungsparteien daran gehen, die Macht im Land neu zu verteilen, beschneiden sie sich im Bund selbst gegenseitig die Macht. Acht Monate nach dem Start steckt die Koalition in ihrer ersten gröberen Krise. Sie wird nicht daran zugrunde gehen, aber wenn sie da durch ist, wird einiges anders sein.
Die Entwicklung ist jetzt keine allzu große Überraschung. Die Überraschung besteht eher darin, dass es bis zum ersten Ausbruch so lange gedauert hat. Drei Parteien, die miteinander nichts am Hut haben, geführt von nicht ausschließlich einfachen Charakteren, gepresst in das Korsett eines 234-seitigen Regierungsprogrammes, da ist man schnell bei den eigenen eisernen Reserven angelangt.
In der Öffentlichkeit ist von den Verstimmungen im Maschinenraum noch wenig zu sehen. Die Vertreter der Parteien, die in die Medien geschickt werden, machen freundliche Bemerkungen übereinander, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es brodelt.
Die NEOS sind hier nur Zaungast, ihre internen Probleme kommen noch. ÖVP und SPÖ aber sind in den Grabenkampf-Zustand zurückgekehrt, den man aus früheren großen Koalitionen nur allzu gut kennt. Man traut sich nicht mehr über den Weg, vermutet in allem eine Intrige, versucht sich gegenseitig auszutricksen.
Es war ein schleichender Prozess, der da passierte, aber drei Vorfälle in den letzten Tagen boten die Gelegenheit, die aktuelle körperliche Verfassung der Regierung zu studieren.
Am 11. September wurde das Kopftuch-Verbot in die parlamentarische Begutachtung geschickt. Es heißt korrekt eigentlich "Bundesgesetz zur Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen mittels Einführung eines Kopftuchverbots" und ist das Leibprojekt von Claudia Plakolm.
Weil es aber um Schulen ging, stellte sich die Situation etwas komplex dar: NEOS-Bildungsminister Christoph Wiederkehr musste das Gesetz für die ÖVP-Integrationsministerin einbringen, ehe es dann von SPÖ-Justizministerin Anna Sporrer zerpflückt werden konnte. Eine Regierung, drei Parteien, drei Meinungen.
Bis zum Ende der Begutachtung am 23. Oktober langten 616 Stellungnahmen ein. Zwei Tage vor Nennungsschluss meldete sich auch die Justizministerin zu Wort und rechnete fast schon sarkastisch mit dem Entwurf der eigenen Regierung ab.
Den verwendeten Begriff "ehrkulturelle Verhaltenspflicht" gebe es im Gesetz gar nicht, schrieb Sporrer. Ein Verbot sei nur für Mädchen vorgesehen, Kleidungsstücken von Buben werden "keine problematischen geschlechtsspezifischen Bedeutungen zugeschrieben".
Ob das Gesetz vor dem Verfassungsgericht halten werde, sei "fraglich", für Strafen bei Verstößen gegen das Kopftuchverbot fehle die rechtliche Grundlage. Die finale Keule wurde am Schluss ausgepackt: "Im letzten Satz („Die Erziehungsberechtigen sind verpflichtet für die Einhaltung des Verbots zu sorgen.“) fehlt ein Beistrich".
Ab Donnerstag folgten dem Beistrich dann ein paar Ausrufezeichen. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien erteilte der Wirtschafts‑ und Korruptionsstaatsanwaltschaft die Weisung, gegen die Diversion für August Wöginger, der sie schon zugestimmt hatte, Beschwerde einzulegen.
Der ÖVP-Klubobmann schien in der "Postenschacher-Affäre" schon aus dem Schneider zu sein. Am 7. Oktober erreichte Wöginger eine Diversion und ersparte sich damit einen peinlichen Prozess samt möglicher Verurteilung. Aber nur für den Moment.
Nun wird sein Verfahren möglicherweise neu aufgerollt. Rechtlich lief alles sauber ab, aber die ÖVP wurde von den Ereignissen derart überrumpelt, dass sie zunächst sogar darauf vergaß, sich zu empören. In der ZiB 1 am Abend klang Staatssekretär Alexander Pröll so, als wäre etwas Alltägliches passiert. Die Entscheidung sei "überraschend", sagte er, "aber im Sinne des Instanzenzuges möglich."
Dann bahnte sich der Zorn aber immer stärker seinen Weg. Die ÖVP vermutet hinter der Wöginger-Entscheidung eine Intrige der SPÖ, vor allem die Geschwindigkeit schaue verdächtig aus. Das gesamte Verfahren sei in drei Tagen abgehandelt worden. Die Volkspartei, juristisch immer noch traumatisiert durch die Kurz-Anklage, glaubt nicht an einen Zufall.
Sie darf das auch nicht tun, denn parteiintern ist schon ziemlich viel Druck im Kessel. Das lieblich-belanglose Auftreten der Parteispitze sorgt für immer mehr Unmut. Kanzler Stocker ist nicht da, das übrige Personal noch feucht hinter den Ohren. Es fehlen Menschen, die Erfahrung haben und bei Bedarf die Boxhandschuhe anziehen, hört man.
Am Freitag folgte der nächste Nackenschlag. In einer Presseaussendung kündigte Vizekanzler Andreas Babler an, "die gesamte Medienförderung auf neue Beine" stellen zu wollen. Die ÖVP wusste nichts davon.
Tatsächlich nimmt Babler den Standpunkt ein, die Medienförderung im Alleingang durchsetzen zu können. Er wolle die Geldsumme auf "weit über 100 Millionen Euro ausbauen", schrieb er. Der verdutzten Volkspartei beschied Babler: Das sei keine Materie, die in die Koordinierung eingebracht werden müsste.
In der "Koordinierung" legen ÖVP, SPÖ und NEOS gemeinsam fest, welche Themen vorangetrieben werden. Ausgerechnet das heikle Kapitel Medienförderung für einen Sololauf zu nutzen, stellt eine Brüskierung der beiden Regierungspartner dar. Und facht die Klimakrise in der Koalition weiter an.
Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag, ich hoffe, er verläuft allerseelig.
In Österreich gibt es sechs Berufsfeuerwehren, in allen Landeshauptstädten außer Bregenz, St. Pölten und Eisenstadt. In Klagenfurt löschen neben der Berufsfeuerwehr auch zehn Freiwillige Feuerwehren, aber man ist füreinander nicht Feuer und Flamme.
Die Berufsfeuerwehr fühlt sich für das schlechte Klima nicht verantwortlich. Man wasche den Kollegen sogar die Schläuche, wird der Branddirektor in der Kleinen Zeitung zitiert. Ich nehme einmal an, es sind die Löschschläuche gemeint.
Mittlerweile gibt es sogar eine Dienstanweisung, wonach Berufsfeuerwehrleute ihre freiwilligen Kollegen zu grüßen haben. In welcher Form das zu erfolgen hat, wird leider nicht ausgeführt. So eine Passage fehlt im Koalitionspakt, das könnte sich noch rächen.
Bis in einer kleinen Weile.