Die Koalition ritt diese Woche aus, um der Bürokratie Zügel anzulegen. Warum sie sich auf den letzten Metern bei einem Hindernis vergaloppierte. Wie der Wieher-Gag mit der Kräuterlimo entstand. Und welche neue Rollenverteilung es auf der Koppel gibt.

Jesus lebt mitten unter uns, wir bemerken es nur nicht immer. Die folgende Geschichte ist wahr, ich schwöre es beim Augenlicht des Dachses, der gerade meinen Garten umpflügt. Sie spielt in Niederösterreich, wo, bleibt ein göttliches Geheimnis.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein Pfarrer, er kam aus Afrika nach Österreich, das ist schon einige Jahre her. Der Pfarrer ist bei Predigten kein Menschenfänger, aber er wirkt handwerklich geschickt. Den Großteil der Kleinigkeiten, die in der kirchlichen Gemeinde als Arbeit anfallen, erledigt er selbst.
Um Material zu besorgen, fuhr er vor einiger Zeit in den Baumarkt. Dass ihn die Polizei am Weg anhielt, mag Zufall gewesen sein, als Person of Color, wie die Niederösterreicher politisch korrekt sagen, glaubt man aber eher weniger an Zufälle im Leben. Jedenfalls war das Auto des Pfarrers das Einzige, das gestoppt wurde. Keines davor, keines danach.
Der Polizist fragte nach Papieren, der Pfarrer deutete auf seine Arbeitsklamotten. Er habe keinen Führerschein eingesteckt, leider, bedauerte er. Aber der Herr Inspektor möge doch ein Auge zudrücken, schließlich sei er doch der Gemeindepfarrer aus dem Ort, der nicht genannt werden will.


Die Erzählung hatte einen Schönheitsfehler, der Polizist glaubte sie nicht. Er glaubte so wenig daran, dass er sich zu einer kühnen Aussage hinreißen ließ: "Wenn Sie ein Pfarrer sind, dann bin ich Jesus." Er könnte auch das Du-Wort verwendet haben.
Der Inspektor nahm den Mann aus dem Auto, der sich nicht ausweisen konnte, mit aufs Revier. Als die beiden bei der Tür hereinkamen, sah ein anderer Polizist von der Arbeit am Schreibtisch auf und erkannte den Gottesmann aus seinem Heimatort sofort. "Aber Herr Pfarrer," rief er erstaunt, "was machen denn Sie da?"
Der Pfarrer blickte ihn ruhig an und sagte: "Mich hat Jesus gebracht."
Seit diesen Tagen verzeihen die Gläubigen im Ort dem Pfarrer so manchen Unsinn, den er in Predigten von sich gibt. Denn wer kann von sich schon behaupten, dass er von Jesus festgenommen wurde? Und mit einigen ist dieser Jesus sogar im Ort per Du.
Ungeachtet der Wohnsitzfrage von Jesus muss man festhalten: In Österreich wird grundsätzlich selten Wasser in Wein verwandelt. Das war auch in der vergangenen Woche zu beobachten, als die Regierung ihr Konzept für den Bürokratieabbau öffentlich machte. Es passierte dabei nur ein halbes Wunder, Wasser wurde nicht zu Wein, sondern zu Almdudler.
Ich will das gar nicht geringschätzen, mir sind halbe Wunder lieber als gar keine. Deshalb war bei mir in dieser Woche das Glas Almdudler auch halbvoll und nicht halb leer. Ich halte das, was präsentiert wurde, nicht für ein Werk messianischer Tragweite, aber für herzeigbar. Es muss sich dafür niemand ans Kreuz nageln lassen.

Das eigentliche Wunder passierte, nachdem das uneigentliche Wunder passiert war. Die Menschen im Land begannen, sich für den Bürokratie-Abbau zu begeistern. Das sorgt in Österreich momentan für eine Stimmung, die an die Zeit des Mauerfalls in Berlin erinnert. Jeder will irgendwas niederreißen, was genau, wird noch definiert.
Deregulierung ist das inoffizielle Wort des Jahres. Zum offiziellen wurde Elch Emil gewählt. Das findet vermutlich sogar die FPÖ gut, schließlich hat ein Ausländer freiwillig das Land verlassen, zumindest war er auf dem Weg.
Überall wird jetzt dereguliert. In den Schulen, beim Denkmalschutz, den Medien, in der Verwaltung der Länder und sogar im niederösterreichischen Bienenzuchtgesetz. "Die Wanderbestimmungen für Imkerschaft sollen vereinfacht werden", schreibt die Landwirtschaftskammer Niederösterreich.
Die Bienen haben das vermutlich gar nicht gewusst, aber wer sie von A nach B bringen wollte, musste bisher eine Eidesstattliche Erklärung abgeben, um eine "Wanderbescheinigung" zu erhalten. Die Erlaubnis, sich mit seiner Sippe Insekten auf die Reise begeben zu dürfen, bekam man etwa bei der Landwirtschaftskammer. Der wird nun diese Last von den Schultern genommen.


Ab 1. Jänner reicht für die Zuwanderung eine E-Mail an die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister. Die Bienen können das Schreiben ersatzweise vom Imker verfassen lassen. Verkauft wird die bürokratische Disruption unter dem Titel "Deregulierung beim NÖ Bienenzuchtgesetz". Es wird einem im Alltag schon viel Honig ums Maul geschmiert.
Aber das ist vermutlich erst der Anfang. Die Kinder werden sich in Hinkunft zu Weihnachten keine Puppen oder Labubus mehr wünschen, sondern Deregulatoren, auch wenn niemand weiß, was das sein soll.
Silvesterbabys werden Deregula getauft und Autogrammkarten von Sepp Schellhorn sind bald so begehrt wie früher die von Franz Klammer, auch wenn der öfter gelacht hat. Ist eigentlich bekannt, wie Schellhorn aussieht, wenn er fröhlich dreinschaut?
Politiker werden von der Arbeit heimkommen und stolz erzählen, dass sie heute wieder drei Erlässen den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Irgendwann werden wir aufwachen und es wird im Land nur mehr eine einzige Vorschrift geben. Text: "Ich lösche mich in 20 Minuten, viel Glück und auf Wiederschauen!"

Bis dahin wird aber noch viel Almdudler die Kehle hinunterfließen. Das Trachtenpärchen war die prägendste Erscheinung, als Österreich am Mittwoch offiziell dereguliert wurde und das sogar zweimal.
Zunächst traten der Kanzler und der Vizekanzler und die Außenministerin auf und verrieten, wie sich Österreich verschlanken will. Sie redeten nacheinander, jeder erklärte dieselbe Sache unterschiedlich gleich.
75 Minuten später traten der Wirtschaftsminister und der Infrastrukturminister und der Deregulierungs-Staatssekretär auf und verrieten, wie sich Österreich verschlanken will. Sie redeten nacheinander, jeder erklärte dieselbe Sache unterschiedlich gleich.
Dann war Zeit für Fragen, um sich dieselbe Sache noch einmal unterschiedlich gleich erklären zu lassen.


Es brauchte sechs Leute, um zu verkünden, dass jetzt alles einfacher wird. Ehe sich die Verwaltung verschlankte, zeigte sie sich noch einmal in aller Pracht und Herrlichkeit her.
In den 75 Minuten zwischen der ersten Verkündigung und der zweiten Verkündigung passierte aber ein Wunder, ohne dass Jesus daran maßgeblich beteiligt war. Um 9.45 Uhr wurden noch 114 Regelungen abgeschafft, um 11 Uhr waren es nur mehr 113. Wenn das so weitergeht, sind wir spätestens zu Weihnachten bei null.
Es war kein Versehen. Die Regierung stieg bewusst bei der Bremse auf die Bremse, sagte aber nicht allen Bescheid, vor allem nicht dem Kanzler. Christian Stocker sprach noch von 114 Streichungen, dann schaffte sich eine Regelung selbst ab.
Die Erklärung dafür findet sich auf Seite 32 des Regierungsprogrammes. Dort taucht der hübsche Begriff "Bürokratiebremse" auf.
Genau genommen steht da: "Die Bundesregierung bekennt sich zu einer Bürokratiebremse sowie zur transparenten Darstellung von Bürokratiekosten." Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, wer diese Bremse betätigen darf.

Die ÖVP möchte, dass die Ministerien selbst entscheiden, wo sie sich verschlanken, die NEOS wären eher für die Schaffung einer eigenen Stelle. Also eine Art Schmalspurversion von DOGE, dem "Department of Government Efficiency" von Elon Musk. Die Position der SPÖ dazu haben die beiden anderen Regierungspartner auf Nachfrage nicht präsent.
Das fällt auf, weil sich das Muster wiederholt. Die Balance in der Koalition hat sich in den vergangenen Monaten merkbar verschoben. ÖVP und NEOS entdecken aneinander immer mehr Gemeinsamkeiten.
Ideologisch gesehen ist das keine Überraschung, es gibt in der Weltsicht viele Überschneidungen, einige Vertreter der Pinken haben ihren politischen Migrationshintergrund in der ÖVP. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger verbrachte Teile ihres Berufslebens in der Wirtschaftskammer und war Referentin in der Wiener Volkspartei.
Aber das Verhältnis zueinander war in den vergangenen Jahren eher durchwachsen. Die ÖVP hielt die NEOS für Schnösel, die NEOS hielten die ÖVP für Dinosaurier, die aufs Aussterben vergessen hatten. Daran hat sich nichts geändert, aber es wurde erkannt, dass man einander von Nutzen sein kann und eine Basis dafür existiert.

Das ist am besten an der Personalie Sepp Schellhorn zu beobachten. Ehe der Staatssekretär zur Pongauer Antwort auf Elon Musk wurde, gab er den Kammerjäger, am liebsten hätte er die Wirtschaftskammer filetiert wie einen Weihnachtskarpfen in seiner Hotelküche.
Jetzt wirken die gemeinsamen Auftritte mit Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer so fluffig als wären die beiden stundenlang gemeinsam am Goldegger See segeln gewesen.
Für die SPÖ wird das langsam zu einem Problem. ÖVP und NEOS erwecken den Eindruck, als würden sie sich nicht länger damit aufhalten wollen, die Position von Andreas Babler zu einzelnen Fragen zu erkunden. Die SPÖ wirkt wie geduldet, ihrer Meinung wird wenig Relevanz beigemessen.
Die Sozialdemokratie hat sich selbst zuzuschreiben. Sie hat entschieden, sich vorrangig wieder mit sich selbst beschäftigen zu wollen. Die SPÖ ist vielleicht die einzige Partei, die Misserfolge ungeschehen machen möchte, indem sie sie wiederholt. Vielleicht hilft es, einmal gemeinsam auf einen Almdudler zu gehen.



Das Kräuter-Red Bull mit dem Trachtenpärchen Marianne & Jakob am Etikett, wurde in dieser Woche zum Deregulierungs-Nationalgetränk. Obwohl die Limo in keinem Gesetz, in keiner Verordnung und in keinem Erlass vorkommt, ist sie seit Mittwoch das Testimonial der Anti-Bürokratie-Aktivisten.
Dabei ist der Almdudler eigentlich ein Produkt der Liebe. Erfinder Erwin Klein soll am 17. Oktober 1957 die erste Glasflasche seiner Frau Ingrid zum Hochzeitstag geschenkt haben. Männer und Romantik ...
Nun musste der Almdudler dafür herhalten, der Weltöffentlichkeit die Wahnwitzigkeit der Bürokratie vor Augen zu führen. Auf Almhütten, sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsorfer in der Pressekonferenz, dürfe der Almdudler derzeit nur in 0,33-Liter-Flaschen, aber nicht aus 1,5-Liter-Gebinden ausgeschenkt werden.
Gemeint war: Es müssen mühsam klassische Almdudler-Flaschen zu den Hütten transportiert werden, weil ein offener Ausschank verboten sei. Das stimmt, aber ein bisschen auch wieder nicht.
Erfunden wurde der Gag erst Mittwoch in der Früh von Hattmannsorfer selbst, er überraschte seine Regierungs-Kollegen damit.


Der Wirtschaftsminister vergaß freilich zu erwähnen, dass nur Hütten betroffen sind, die in der Land- und Forstwirtschaft als Nebengewerbe betrieben werden. Also nicht die klassischen Humtata-Buden mit dem DJ-Ötzi-Soundteppich im Skigebiet.
Es geht auch nicht um Almdudler, der Gesetzgeber war nicht verwegen genug, für jedes Zuckerlwasser einen eigenen Paragrafen zu schnitzen. In der Gewerbeordnung steht unter Paragraf 2, Absatz 4, Ziffer 10 vielmehr, was gemeint ist: "Die Verabreichung und das Ausschenken selbsterzeugter Produkte sowie von ortsüblichen, in Flaschen abgefüllten Getränken im Rahmen der Almbewirtschaftung."
Falls Sie sich jetzt fragen sollten, wie sich Land- und Forstwirtschaft definiert, dann gibt die Gewerbeordnung auch dazu breit Auskunft. Verstanden werden darunter Tätigkeitsfelder wie "die Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte" oder "das Einstellen von höchstens 25 Einstellpferden".
In der Causa Almdudler wird nun eine rasche Lösung dereguliert. Es werden drei Worte gestrichen, nämlich: "in Flaschen abgefüllt". Es ist also in Zukunft wurscht, ob der Almdudler (und jedes andere Getränk) aus einem 100-Liter-Boiler oder einem Gartenschlauch kommt. Kommende Woche geht das Gesetz in Begutachtung und ab die Kirsche.


Erwartungsgemäß erregten aber nicht Naturkräfte, Einstellpferde und auch nicht der Almdudler dieser Tage das größte öffentliche Interesse, sondern das Auto-Pickerl. Ich hatte das schon am vergangenen Sonntag so erwartet. Das Überraschende an Österreich ist, wie wenig einem das Land überraschen kann.
Die Deregulierungs-Aktivisten wollen, dass Neuwagen in Hinkunft erst nach vier Jahren und ab da jeweils nach zwei Jahren zur Inspektion müssen. Ein Aufschrei einschlägiger Kreise ging durchs Land. Es wurde schlimme Bilder an die Wand geworfen. Wie Zombies würden bald Schrotthaufen auf Rädern durch die Gegend irren.
Allerdings: In Norwegen, Frankreich, Finnland, Dänemark, den Niederlanden oder Spanien gilt die künftige Regelung schon. In der Schweiz müssen Autos erstmals sogar erst nach fünf Jahren zur Inspektion, dann nach drei Jahren, schließlich alle zwei Jahre. Die Schweiz hatte im Vorjahr 36 Prozent weniger Verkehrstote als Österreich.


Das vorgelegte Paket kratzt nur an der Oberfläche, aber es scheint ein Anfang gemacht. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob ein Löwe geweckt wurde oder ein Papiertiger.
Für die Regierung ist das eine heikle Materie. Sie feierte sich diese Woche selbst, weil sie kein einziges neues Vorhaben in den Ministerrat eingebracht hatte. Die Idee dahinter war: Wenn wir schon nicht erfolgreich sind, wenn wir was tun, dann schauen wir, was passiert, wenn wir einmal nichts tun.
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer erfand dafür sogar einen eigenen Begriff – den "Abschaffungsministerrat". Es ist ein verbaler Tanz auf der Rasierklinge. Was passiert, wenn die Regierung mit der eigenen Abschaffung erfolgreich ist?

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Mir gefällt übrigens momentan sehr, wie in Österreich die Energie fließt.
Die Strompreise sind hoch, also verdient der Stromlieferant Verbund gutes Geld. Dieses gute Geld nimmt der Kanzler dem Stromlieferanten Verbund nun weg, um den Strom billiger zu machen. Jenen Strom nämlich, der vorher so teuer war, dass der Stromlieferant Verbund dem Kanzler Geld geben kann, damit er den Strom billiger macht.
Nun hat sich der Kanzler eine Milliarde gesichert, um den Strom billiger zu machen. 500 Millionen kassierte er diese Woche bei den Staatsunternehmen ein. Die haben offenbar so viel Geld auf der hohen Kante, dass sie es dem Kanzler geben können, wenn er anruft, weil er den Strom billiger machen will. Her mit dem Zaster, her mit der Marie!
Was der Kanzler nun noch nicht weiß: Wie er den Strom billiger machen möchte. Aber das Geld ist einmal da, der Rest wird sich finden.
Wenn in Zukunft ein Name für das Gegenteil eines 5-Jahres-Planes gesucht wird, sollte im Titel unbedingt Österreich vorkommen.
Bis in einer kleinen Weile.