Das wussten Sie vielleicht nicht: Über die ID Austria kann sich jeder an Ihrer Wohnadresse melden. Sie werden es nie erfahren und wenn, dauert es bis zu vier Monate, ehe der ungebetene Gast gelöscht ist. Was Betroffene erleben, warum die Politik nicht schlafen sollte.

Ich fahre nicht oft mit dem Auto, aber wenn, dann bin ich nie allein. Es ist seltsam, aber offenbar haben viele Menschen zur selben Zeit dieselben Gedanken wie ich und suchen deswegen dieselben Orte auf. Ich muss so eine Art Medium sein. Ich stehe nicht im Stau, ich bin der Stau.
Dieser Tage steckte ich wieder einmal fest. Am Wiener Ring wurde eine Demo gegeben, alle Fahrbahnen von der Staatsoper bis zum Schottentor waren blockiert und das für geraume Zeit. Ich war mittendrin statt nur dabei, aber es war keine verlorene Zeit, sondern gewonnene Erkenntnis.
Mir wurde etwa bewusst, dass nicht jede Verkehrsdurchsage unmittelbar weiterhilft. Eine Reporterin auf Radio Wien empfahl mit fröhlicher Stimme, man solle doch das Auto stehen lassen und besser mit der U-Bahn fahren. Ich glaube, es hätte der Stadt auch nicht geholfen, wenn alle am Ring aus den Fahrzeugen gestiegen wären und gesagt hätten: "Okay, nehme ich halt die U4."
Das passierte nicht, dafür kam es kam zur Erprobung einer alternativen Antriebsmethode. Europa debattiert derzeit intensiv über die Zukunft der Mobilität. Sollen wir uns mit E-Autos fortbewegen oder doch weiter mit klassischen Verbrenner-Vehikeln? Die EU findet alle drei, vier Jahre das eine oder das andere besser, aber das macht nichts, wir haben ja den Hausverstand.
Dieser Hausverstand rät im Weihnachtsverkehr zum Einsatz der Hup-Energie. Wenn nix weitergeht – trööööt. Da haben wir einen technologischen Fortschritt gegenüber den Chinesen, den gilt es zu nutzen. Eine Hup-Kultur kannst du nicht so einfach kopieren wie Hallstadt. Die bringst du auch in keinen Fünfjahresplan.


Durch Hupen werden selten Raumgewinne erzielt, auch an meinem Stautag war das Ergebnis mager. Es reichte höchstens, um sich den Weg frei zu hupen, damit man die nächste freie Kreuzung zuparken kann.
Wenn es Santa Claus wirklich geben sollte, dann wäre er heute ein Autoposer. Schwarzer Dreier-BMW, tiefergelegt, per Hupkonzert durch die Innenstädte. Rentiere rentieren sich nicht mehr.
Es geht aber sowieso um den gefühlten Fortschritt. Es reicht, wenn die Menschen empfinden, dass etwas weitergeht. Auf einer solchen Basis werden ganze Regierungsprogramme erarbeitet.
Wenn man im Stau steckt, hat man viel Zeit. Im Auto wird dieser Leerstand aktuell mit Weihnachtsliedern aufgefüllt. Ich kann mich nicht erinnern, dass uns die Radiosender jemals zuvor so viel themenbezogenes Liedgut zugemutet haben wie heuer.
Es ist alles so picksüß. Nach einer halben Stunde im Auto brauchst du eine Insulinspritze, dafür muss man gar kein Diabetiker sein.
Wenn schon Änderungen an der Europäischen Menschenrechtskonvention geplant sind, dann sollten moderne Foltermethoden wie "All I Want for Christmas Is You", "Last Christmas" oder "Driving Home for Christmas" nicht vergessen werden. "Feliz Navidad" muss unter das Waffengesetz fallen.
Und während ich so da saß im Auto, das Hupkonzert von außen hörte und die Huplaute aus dem Radio, da hatte ich eine Idee. Ich begann Weihnachtslieder weg zu atmen. Einfach so. Dann müssen Sie es nicht mehr tun. Danke, gern geschehen!

Auch die Regierung ist schon in Weihnachsstimmung, sie bescherte sich diese Woche der Einfachheit halber selbst. Zur Anwendung gelangte eine Art Fotobuch, wie es im Fernsehen gerade intensiv beworben wird. Die Koalitions-Broschüre trägt den Titel "Jetzt das Richtige tun. Bilanz 2025". Das klingt wie der Auftakt zu einer Welttournee.
Ehe die Regierung damit begann, gute Noten an sich selbst zu vergeben, trat die Führungsspitze noch einmal karitativ in Erscheinung und das gleich zweimal. Die Eiligen Drei Könige, Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger, verzichteten dabei auf die einschlägige Berufsbekleidung, was schade war. Auf Instagram hätte sich das sicher gut gemacht.
Am Dienstag brachten die Eiligen Drei Könige eine Erweiterung ihres "Billigstrom-Gesetzes" unter die Leute. Stehend! Die Elektrizitätsabgabe und der Ökostrombeitrag werden gesenkt, für die Industrie gibt es einen Bonus. Wenn das in dem Tempo weitergeht, werden uns die Lieferanten noch die Tür einrennen, damit sie uns ihren Strom schenken dürfen.
Das Problem an Gold, Weihrauch und Myrrhe ist, dass es manchmal nur so aussieht. als wäre es Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Strom-Geschenke gelten nur für ein Jahr, dann sind sie futsch.
Wenn die Strom-Myrrhe weggeht, dann weht es den Weihrauch erst herbei, auch goldig. Am Mittwoch verrieten die Eiligen Drei Könige, erneut in Bestbesetzung, aber diesmal im Sitzen, warum Arbeiten im Pensionsalter bald unfassbar geil sein wird. Ein Steuer-Freibetrag von 15.000 Euro im Jahr kommt, die Beiträge der Beschäftigten für die Pensionsversicherung werden gestrichen.



Aber erst 2027. Und als Bruch des Koalitionsabkommens. Dort steht auf Seite 26: "Das Zuverdiensteinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird mit 25 % endbesteuert." Die Flat Tax wurde abgesagt.
So liest sich das nicht im cewe-Fotobuch. Die Jubel-Broschüre mit starkem Textanteil fasst auf 48 Seiten die "Highlights der Regierungsarbeit" zusammen. Gleich am Anfang wird groß herausgestrichen, dass es "drei Regierungsklausuren und 35 Ministerräte" gegeben habe. Ich finde es für eine Regierung normal, dass sie sich hin und wieder trifft.
Zu erfahren ist auch, dass "113 Gesetze, Verordnungen und Regelungen abgeschafft, vereinfacht oder digitalisiert" werden. Gleichzeitig ist zu lesen, dass seit 3. März "117 Gesetze und 160 Verordnungen entstanden" sind. Nanu!
Das haut ein bisschen die Panier vom Schnitzel. Sepp Sisyphus Schellhorn hatte zuletzt verkündet, dass ihm die Abschaffung von 113 Regulierungen gelungen sei. Jetzt erfährt er über das Regierungs-Fotobuch, dass gleichzeitig 277 neue Regulierungen auf den Weg gebracht worden sind.
Österreich mag militärisch noch immer recht schwach aufgestellt sein, aber eine wehrhafte Bürokratie haben wir.


Eine Reform sollte sich die Regierung fürs nächste Jahr vornehmen, auch wenn sie noch auf keinem Zettel steht. Die ID Austria, das digitale Schweizermesser der Republik, weist nämlich eine gefährliche Sicherheitslücke auf.
Wenn Sie von dieser Sicherheitslücke betroffen sind, dann lernen Sie viele Behörden kennen, werden von einem Amt zum nächsten weitergereicht, müssen ausgiebig telefonieren, recherchieren, kontaktieren. Am Ende fasste eine Polizistin die Geschehnisse in einem Wort zusammen: "Arg!"
Die folgende Erzählung basiert auf den Erlebnissen von drei Wochen. Die betroffene Person ist mir gut bekannt, mir liegen alle relevanten Unterlagen zum Fall vor, auch ich habe einigermaßen viel telefoniert und auch meine Bilanz fällt so aus: "Arg!"
Nennen wir die betroffene Person Max Mustermann. Der Wiener schloss einen Mietvertrag für eine Wohnung ab, sie befindet sich in einem Neubau. Der Einzug wurde für 1. Dezember vereinbart.
Max Mustermann meldete sich ordnungsgemäß an der neuen Adresse. Was er nicht wusste oder erfuhr: Er war nicht der Einzige.
Wenige Tage nach dem Einzug kam Post, ein Schreiben der Wiener Wirtschaftskammer. "Willkommen an Bord – Ihre Reise ins Unternehmertum beginnt", freuten sich Präsident Walter Ruck und Direktor Gregor Deix darin. Sie hatten den Brief unterfertigt.

Max Mustermann hatte aber keine Reise gebucht, auch nicht ins Unternehmertum. Der Brief war auch nicht an ihn adressiert, sondern an eine wildfremde Person, nennen wir sie "Phantom 1". Die Adresse allerdings stimmte. Es war die von Max Mustermann.
Es kam weiter Post. Das Finanzamt schickte einen Fragebogen, die Wiener Wirtschaftskammer eine "Fachgruppeneingliederung", ein Kommissariat in der Landstraße eine Zeugenladung. Adressat war immer "Phantom 1". Zugestellt wurden die Poststücke aber an eine Adresse, an der er nicht wohnte. An die von Max Mustermann.
Was auffiel: Alle Briefe stammten aus dem November. Da war der Neubau noch eine Baustelle, es gab zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen Mieter. Aber jemanden, der ganz offensichtlich an dieser Adresse gemeldet war.
Am 8. Dezember ist dann plötzlich der Briefkasten von Max Mustermann aufgebrochen. Das kann natürlich Zufall sein, aber er ist der einzige im ganzen Haus, der aufgeklemmt wurde. Also Anzeige!
Drei Tage später wird Max Mustermann ein Fall für die Polizei, aber erst im dritten Anlauf. Es steht Mietbetrug im Raum, aber die kontaktierte Inspektion in der Inneren Stadt zeigt kein Interesse. "Des miassn inan mit der Post ausmachen".
Der Besuch bei einer zweiten Polizei-Inspektion im Bezirk Landstraße ergibt dann Erstaunliches. Neben Max Mustermann sind zwei weitere Personen an der betreffenden Adresse gemeldet, allerdings nicht "Phantom 1". Der, so sagt der Polizist, hat überhaupt keine Meldeadresse mehr im Bundesgebiet von Österreich.


Was zu diesem Zeitpunkt bekannt ist: "Phantom 1" hat für die betreffende Adresse ein Gewerbe angemeldet, ist dort aber (nicht mehr) gemeldet. Dazu gibt es "Phantom 2" und "Phantom 3". Beide sind an der betreffenden Adresse gemeldet. Und sie geben "Phantom 1" als ihren Unterkunftsgeber, also Vermieter, an.
Alle drei Personen haben keine österreichische Staatsbürgerschaft, sondern sind gebürtige Tschechen bzw. Slowaken. Die ID Austria steht auch EU-Bürgern aus dem Ausland offen.
Heißt zusammengefasst: Max Mustermann ist Alleinmieter an einer Adresse, an der zwei U-Boote gemeldet sind, die er nicht kennt. Ein weiteres U-Boot hat an der Adresse eine Firma angemeldet. Aber es wird noch wilder.
Am 12. Dezember geht Max Mustermann auf das zuständige Magistratische Bezirksamt. Er will die ungebetenen Gäste loswerden. Die Frau am Amt ist freundlich. Sie fertigt eine Niederschrift an, aber sie bittet auch um Geduld: Das Verfahren kann bis zu vier Monate dauern.
Max Mustermann besucht die dritte Polizei-Inspektion. Diesmal wird er ernst genommen, die Polizistin, die den Vorgang selbst "arg" findet, engagiert sich. Das Problem dahinter ist nämlich selbst ihr neu.


Um sich in Österreich an einer Adresse zu melden, musste man am Amt früher eine Bescheinigung des Unterkunftsgebers vorlegen. Mit der ID Austria wurde das anders. Da ist kein Nachweis mehr nötig, der Vermieter ist einfach zu nennen. Und aus!
Natürlich ist es ein Vergehen, hier falsche Angaben zu machen. Man wird auch mehrfach darauf hingewiesen, dass Missbrauch eine "Verwaltungsübertretung" darstellt. Aber eine wirkliche Hürde stellt sich nicht.
Um es klar zu sagen: Jede(r) kann sich in Österreich an jeder beliebigen Adresse melden, er muss dafür keinen einzigen Beleg vorweisen. Ich kann mich morgen beim Bundeskanzler in Wiener Neustadt melden und als Unterkunftsgeber Micky Maus angeben.
Bei Christian Stocker wird es vielleicht nicht vier Monate mit der Löschung dauern, aber es gibt ein weiteres Problem. Von dem Vorgang erfährt niemand. Es wird kein Mieter verständigt, dass sich an seiner Adresse jemand zusätzlich gemeldet hat, kein Hauseigentümer, kein Wohnungseigentümer. Niemand!
Mit einer Ausnahme: die OBS. Die ORF-Beitrags Service GmbH erfährt immer, wenn jemand woanders einzieht. Grotesk, oder? Die Betroffenen bleiben im Unklaren, aber wo Geld fließen soll, da flutscht die Datenübertragung plötzlich.


Mit 25. November schickte die OBS einen Brief an "Phantom 1". Text: "Mit der Anmeldung ihres Hauptwohnsitzes sind sie automatisch für den ORF-Beitrag registriert". Für November und Dezember seien 30,60 Euro fällig.
Die kann "Phantom 1" aber nicht bezahlen, denn er wohnt ja an der betreffenden Adresse nicht (mehr). Nirgendwo anders in Österreich auch nicht. Aber eine Firma hat er an der betreffenden Adresse schon angemeldet.
Auch da ist er nicht der Einzige. "Phantom 2" hat inzwischen nämlich ebenfalls ein Gewerbe an der betreffenden Adresse registriert. Es gibt eine GISA-Zahl dazu, also eine Eintragung ins Gewerbeinformationssystem Austria. Unternehmensgegenstand: "Überlassung von Arbeitskräften".
Am 12. Dezember schickt die Sozialversicherung der Selbständigen eine Vorschreibung an "Phantom 2". Am 15. Dezember teilt das Magistrat mit, dass die Verlegung von der alten zur neuen Adresse vollzogen sei. Die neue Adresse, das ist die von Max Mustermann.
Ach ja: Das Magistrat ist dasselbe, das ein paar Tage vorher erfahren hat, dass an dieser Adresse ein mutmaßlicher Mietbetrug läuft.


Vier Monate, um ein U-Boot abzumelden, sind eine lange Zeit. Aber erst wenn die Wirtschaft ins Spiel kommt, bekommen die Zeiger Blei an die Beine. Es gibt "eine Wartefrist von drei Jahren bei Unauffindbarkeit des Gewerbetreibenden, oder fünf Jahre bei Nichtbezahlung der Kammerumlage", schreibt mir das Wirtschaftsministerium.
Dort ist man mit der derzeitigen Regulierung ebenfalls unglücklich und drängt auf Veränderung. Es ist aber eine komplexe Materie. Zuständig sind das Bundeskanzleramt (ID Austria), das Finanzministerium (für Betrugsdelikte), das Wirtschaftsministerium (für Gewerbe), das Innenministerium (für polizeiliche Ermittlungen), da aber auch die Landespolizeidirektion Wien.
Es handelt sich um keine Bagatelle. Wer jetzt glaubt, "na und, hat sich halt jemand bei mir gemeldet", dem seien nur ein paar Konsequenzen vor Augen geführt. Wer an einer Adresse gemeldet ist, kann den Schlüsseldienst die Tür aufsperren lassen. Ja, da wo Sie wohnen.
Es steht vielleicht einmal der Exekutor vor der Tür, weil sie den ORF-Beitrag oder ein Amazon-Packerl nicht gezahlt haben. Viel Spaß bei der Erklärung, dass Sie nicht sie sind.
Eine Meldeadresse benötigt man, um eine Versicherung abzuschließen, ein Bankkonto zu eröffnen, ein Auto umzumelden, einen Handyvertrag abzuschließen. Es gibt viele Möglichkeiten, Schindluder zu treiben.
Warum sich "Phantom 1" und "Phantom 2" und "Phantom 3" an einer Adresse gemeldet haben, an der sie nicht wohnen? Unklar! Warum "Phantom 1" und "Phantom 2" an einer Adresse, an der sie nicht wohnen, ein Gewerbe angemeldet haben? Unklar. Wie so vieles an dem Fall. Er ist noch nicht zu Ende erzählt.


Ich wünsche einen wunderbaren vierten Advent-Sonntag. Es könnte sein, dass Ihnen heute eine paar Schreibfehler mehr in den Kopfnüssen Kopfweh bereiten. Aber ich habe mir bei Hausarbeiten einen rund einen Zentimeter langen Holzspan ziemlich senkrecht ins Nagelbett des linken Daumens gerammt.
Es handelt sich um eine eher elaborierte Form des Männerschnupfens. Es musste ein Teil des Nagels entfernt werden, der Span wurde dann mit einer Pinzette herausgezogen. Beim Entfernen habe ich ein paar Lieder gesungen, nicht alle Strophen hatten einen weihnachtlichen Charakter.
Der rechte Daumen ist nun nur bedingt einsetzbar. Es ist kaum zu glauben, wie viele Finger man im Alltag benötigt. Zehn da, einer fällt aus und patsch. Vielleicht erklärt das auch die Größe der Regierung.
Bis in einer kleinen Weile. Vielleicht.
PS: Ich wurde in dieser Woche von einer Jury der Fachpublikation "Österreichs Journalist:in" zum "Kolumnisten des Jahres" gewählt. Ich darf mich bei allen, die für mich gestimmt haben, aufrichtig bedanken und gratuliere allen, die ebenfalls ausgezeichnet wurden.
Jenen, die mich nicht gewählt haben, verspreche ich, ein Kolumnist für alle zu sein.
Nein, Spaß, aber ohne undankbar erscheinen zu wollen: An meinem grundsätzlichen Fremdeln gegenüber Journalistenpreisen, die Art ihrer Entstehung und ihrer Flut hat sich nichts geändert. Es tut mir leid, ich kann nicht anders.
PPS: Die grandiosen Bilder auf dieser Seite stammen wieder von Helmut Graf. Der hätte sich einmal einen Preis verdient.